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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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sozialen und ökonomischen Veränderungen, die das Land von 1400 an erschüttern sollten, lagen noch in der Zukunft, und Björns Reise nach Grönland |145| hatte Ereignisse in Gang gesetzt, die bis in die Ostsiedlung zurückwirkten und Teil der Überlieferung zur Endphase der Kolonie wurden.

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    |146| 8 Ein nordatlantisches Netzwerk – Grönland und Island
    Die Bewohner der beiden grönländischen Siedlungen hielten über ein weit reichendes Netzwerk, das den gesamten nordatlantischen Raum überspannte, Kontakt zu anderen atlantischen Gemeinden. Dieses Netzwerk verband die nordischen Grönländer besonders eng mit Island, Grönlands nächstem Nachbarn im Osten. Noch Jahrhunderte nachdem Eirik und seine Gefährten ihre eigenen gesellschaftlichen Strukturen in den nordischen Kolonien hatten aufbauen können, blieben die kulturellen und familiären Bande zu Island weiter bestehen; direkte Fahrten zwischen den beiden nordischen Vorposten gab es bis weit ins 15. Jahrhundert hinein.
    Die Erfahrungen der Isländer mit dem gesamteuropäischen Netzwerk über den Atlantik waren demgegenüber von etwas anderer Art. Island lag Norwegen und den übrigen Territorien des europäischen Kontinents geographisch wesentlich näher als Grönland und reagierte deshalb empfindlicher auf politischen und wirtschaftlichen Druck, besonders aus Norwegen. Auch Krankheiten und Epidemien, die auf dem europäischen Kontinent grassierten, waren die Isländer durch ihre geographische Lage sehr viel stärker ausgesetzt.

Krankheiten als unwillkommene Reisebegleiter
    Weder Isländer noch Grönländer waren indes vor einer Lepra-Ansteckung sicher, einer Krankheit, die im hohen Norden seit dem 11. Jahrhundert endemisch war, bis der norwegische Arzt Gerhard Armauer Hansen (1841–1912) ihre Ursache erkannte und mit einer systematischen Vorbeugung und Behandlung |147| begann. Bis zu diesem medizinischen Durchbruch jedoch war die Stadt Bergen besonders stark von dieser Volkskrankheit betroffen – der Status einer Hafenstadt war vor Beginn der medizinischen Moderne immer ein zweifelhafter Segen. Es überrascht deshalb nicht, dass die mittelalterlichen Sagas und Annalen oft Epidemien in Island oder Grönland erwähnen, zwei Ländern mit geringer Bevölkerungsdichte, die für Kontakte zur restlichen Welt völlig von der Schifffahrt abhängig waren.
    In Island schwankte die Zahl der aus dem Ausland ankommenden Schiffe das ganze Mittelalter hindurch immer wieder beträchtlich, oft infolge bestimmter von Norwegen vorgegebener politischer und wirtschaftlicher Bedingungen. Für das Jahr, in dem Königin Margarete starb (1412), hielten die
Lögmannsannáll
unheilverheißend fest, dass keine Nachrichten aus Norwegen nach Island gelangt seien. Doch etwas mehr als sechzig Jahre zuvor, im Jahr 1347 dagegen, war in den isländischen Häfen sehr viel los: Dreizehn seefeste Schiffe machten dort fest, dazu lagen sechs bereits vor Anker. Insgesamt bereiteten sich zu diesem Zeitpunkt also neunzehn ausländische Schiffe auf die Überwinterung in Island vor, als sich siebzehn Grönländer, von Markland kommend, auf ihrem kleinen, ankerlosen Schiff in den Hafen retteten. Vom folgenden Jahr an breiteten sich die verschiedensten ansteckenden Krankheiten vom Süden des Landes her aus und wüteten zwei Jahre lang in ganz Island. 1
    Zu den hässlichen Überraschungen, die ein einlaufendes Schiff womöglich bereithielt, zählten auch Grippe und Ruhr. Typhus, der von Kleiderläusen übertragen wird und mindestens ebenso lange wie die Lepra im hohen Norden grassierte, war oft eine Geißel auf langen Reisen mit unzureichender Nahrungsmittelversorgung und wenig Gelegenheiten zur persönlichen Hygiene. An Land wurde die Krankheit bedrohlich, wenn eine andere Katastrophe, etwa eine Hungersnot, sich ausbreitete. 2 Die isländischen Annalen berichten von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Schlammlawinen oder von Himmeln, die durch Asche so verdunkelt waren, dass die Sonne selbst im Sommer keine Kraft hatte. Das Gras wuchs nicht, Vögel und Säugetiere starben, und der Hunger zog gnadenlos durch das Land – optimale Bedingungen für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten. Die widerstandsfähigen Isländer haben dennoch bis heute alle eingeschleppten Krankheiten wie auch Naturkatastrophen, denen ihr Land durch die außergewöhnlichen geologischen Bedingungen verstärkt ausgesetzt ist, überstanden. Die nordischen Grönländer lebten zwischen ihren unverrückbaren Granitbergen

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