Mit Kurs auf Thule
eigentlich weitaus sicherer.
Dennoch lassen gemeinsame Bestattungen von Eltern und Kindern in der Ost- wie in der Westsiedlung Grönlands die Ausbreitung ansteckender Krankheiten |148| vermuten. Archäologen haben allerdings keine Belege dafür gefunden, dass eine verheerende Epidemie womöglich das Leben in einer der Siedlungen ausgelöscht hätte. Selbst die Isländer, die doch weitaus häufiger Kontakt zum Rest der Welt hatten, überstanden alle Seuchen, obwohl viele Schiffe, die in ihre Häfen einliefen, nur so kurz unterwegs gewesen waren, dass deren erkrankte Mannschaften noch lebten und die Krankheiten mit an Land bringen konnten. Das geschah schließlich auch, als die Pest, der Schwarze Tod, im Jahr 1402 Island erreichte, etwas mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem die Seuche Norwegen verheert hatte und die Zahl der Schiffe, die nach Island und Grönland ausliefen, dadurch gesunken war.
Zumindest im Verkehr mit Island war dieser Rückgang allerdings nur eine temporäre Erscheinung und genügte offenbar nicht, um die Insel auf Dauer vor der Seuche zu schützen (darauf werden wir in diesem Kapitel noch einmal zurückkommen). Private wie offizielle Reisen waren gleichermaßen betroffen, aber den Quellen zufolge nahmen die Norweger die Fahrten durch das Nordmeer nach dem ersten Schock schnell wieder auf. Ähnlich unbeeindruckt von der Ansteckungsgefahr verhielt sich auch Bischof Vilchin von Skálholt, der 1494 von Bergen nach Island segelte, nur ein Jahr, nachdem deutsche Schiffe mit etwa neunhundert Mann Bergen angegriffen, alle Kirchen niedergebrannt und die Einwohner acht Tage lang terrorisiert hatten. Danach waren sie mit so viel Beute abgezogen, wie sie auf ihre eigenen und gestohlenen Schiffen hatten laden können. 3 Wer Geld, Schiffe und Macht hatte, konnte reisen, es war nur eine Frage der Prioritäten und Interessen. Das zeigen auch die Fahrten der
Ólafssúdinn
und der
Thorlakssúdinn
in den 1380er Jahren, denen kurz darauf die Unternehmung von Björn Einarsson »Jerusalemfahrer« und seinen Freunden folgte (siehe unten). Man kann kaum glauben, dass Island in den Jahren 1380/1381, kurz bevor die
Ólafssúdinn
und die
Thorlakssúdinn
in See stachen, unter einer schlimmen Masernepidemie gelitten hatte.
Norwegen macht Politik in Island
Fast das gesamte Mittelalter hindurch mussten die Isländer mit Forderungen aus Norwegen rechnen. Noch vor 1000 n. Chr. mischten sich die Norweger erstmals in isländische Angelegenheiten ein, als König Olaf Tryggvason (der vielleicht gehofft hatte, auch die Grönländer der Liste seiner Missionstriumphe anfügen zu können) dafür sorgte, dass die Isländer die volle Wucht seiner Christianisierungsbemühungen zu spüren bekamen. Die Isländer boten womöglich, |149| anders als die noch junge Gesellschaft ihrer Nachbarn im nordischen Grönland, mit ihrer bereits gefestigten gesellschaftlichen Ordnung, die auf Besitz, Einkommen und sozialer Differenzierung beruhte, genau die richtige Struktur für eine institutionelle Kirche, die auch einer weltlichen Verwaltung dienen konnte.
Falls König Olaf tatsächlich so über Island dachte, unterschied sich seine Einschätzung deutlich von der, die Adam von Bremen fast ein Jahrhundert später beschrieb: 4
Die Insel ist so groß, dass sie viele Menschen aufnehmen kann, die nur von Viehzucht leben und sich in die Felle ihrer Tiere kleiden. Getreide gibt es dort nicht, Holz nur ganz wenig. Man wohnt deshalb in Höhlen unter der Erde und ist froh, wenn man mit seinem Vieh Dach, Nahrung und Streu teilen kann. So lebt man in frommer Einfachheit, begehrt nicht mehr als die Natur bietet und kann heiter mit dem Apostel sagen: »Essen und Kleidung haben wir, wir wollen damit zufrieden sein.« … Selig, meine ich, sind diese Leute, deren Armut niemand beneidet, besonders selig aber, weil jetzt alle das Christentum angenommen haben.
Adam hatte Recht: Im Jahr 999 oder 1000 n. Chr. hatten die Isländer »alle das Christentum angenommen«. Als Antwort auf König Olafs Forderung, Island solle sich öffentlich zum Christentum bekennen, wurde der Gesetzessprecher des Althing, ein Häuptling und heidnischer Priester namens Thorgeir Thorkellsson, gebeten, zwischen dem christlichen und dem nichtchristlichen Lager in seinem Land zu vermitteln. Nachdem er lange und gründlich nachgedacht hatte über die möglichen Folgen einer Polarisierung im Land wie auch einer Düpierung des aggressiven norwegischen Herrschers, der schon die Söhne
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