Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
wären diese zwar unendlich leidenschaftlich, aber auch von kosmischer Reinheit. Ich würde an den richtigenStellen schwitzen und der ganze Akt dem Liebestanz von Zauberschwänen gleichen.
Wenn es dann vorüber wäre, zöge ich mir einen grobmaschigen, braunen Wollpullover über die Knie, rauchte elegant und würde nachdenklich etwas sagen wie: »Das Leben ist so flüchtig. Nur ein Atemhauch.«
Von so viel Einfühlsamkeit und Timing beeindruckt, wüsste der richtige Gespiele dann die einzige passende Antwort zu entgegnen, nämlich: »Stürbe ich jetzt, ich stürbe glücklich.«
Die anschließende Diskussion über politische Gefangene im Iran wirkte keinesfalls aufgesetzt, sondern verantwortungsbewusst.
So im inneren Einverständnis mit mir, dem Mann und meiner selbst beschlösse ich eines Tages, vollendet um meine Hand bitten zu lassen, zwei Kinder zu gebären, die dank ihrer guten Gene und Umsichtigkeit keinerlei Spuren in meinem Bindegewebe hinterließen, und schließlich der großen Stadt den Rücken zuzuwenden. Allein bei meinen Vernissagen und zu karikativen Anlässen kehrte ich zurück. Im Alter von achtzig würde ich noch mädchenhaft lachen, wenn ein Fremder errötend zugäbe, er habe meine Enkeltochter für meine jüngere Schwester gehalten.
»Es ist die Bildhauerei, die mich jung erhält«, flötete ich in einem solchen Fall für gewöhnlich, »und natürlich Serge, der mir immer noch jeden Wunsch von den Lippen abliest.«
Nach meinem Tode läge jede Woche eine frische Gardenie auf meinem Grab. Keine Rose, denn meine Abneigunggegen Kitsch jeglicher Art wäre noch Generationen später landauf, landab bekannt.
Doch ich stand zu lange auf der Weide. Vielleicht bin ich dadurch kein echtes Pferd geworden, aber ein Mädchen werde ich nimmermehr sein, auch wenn ich in ihre Läden stolpere, mich in Kaffeehäusern an ihre Nachbartische setze und ihre Gespräche heimlich stenografiere. Zöge ich mir ihre raffinierten Röckchen an, sähe ich aus wie eine Pestleiche, furchtbare Kurzhaarfrisuren sehen an mir aus wie furchtbare Kurzhaarfrisuren. Neben mir wirkte Natalie Imbruglia nicht wie ein überschätztes Piepsmäuschen, sondern wie eine stimmgewaltige Elfe. Hätte ich einen realen Vermieter und keine dubiose dänische Wohnungsverwaltungsgesellschaft, würde er des Morgens nicht mit frischen Grapefruits auf mich warten, sondern sein Bauernfrühstück in Sicherheit bringen, denn ich kann bereits um neun Uhr morgens aussehen wie ein hungriger, sehr entschlossener Wolf. Und keiner der Männer, die ich rein hypothetisch gerne mal vernaschen würde, macht sich Gedanken darüber, ob ein Überraschungspicknick an einem Frühlingstag mich heiter zu stimmen vermag, sie fragen mich eher, ob ich ihnen beim Umzug helfen kann. Anders als ich wohnen diese Männer in Altbauten, und meine Aufgabe besteht in der Regel darin, ihre Plattensammlung in die sechste Etage zu schleppen. Selbst wenn es dabei zu zufälligen Intimitäten kommen sollte, schwitzte ich schon vorher an den falschen Stellen, und wäre zufällig ein grobgestrickter Wollpullover zur Hand, den ich mir nach dem unwürdigen Gewusel über die Knie ziehen könnte,sähe ich dabei aus wie
Bernd, das Brot
beim Crack-Konsum, und mein Gespiele röchelte bei meinem Anblick: »Ich würde dann jetzt gerne sterben.«
Während ich sehr unschön vor dem Fernseher in Selbstmitleid zerfließe, kommt mein Bruder ins Zimmer. Wenn ich ein Junge wär’, wär’ ich gern wie er, aber mit vollem dunklen Haar.
Mein Bruder besitzt genügend Selbstbewusstsein, um auch vor seiner Angebeteten, nicht nur vor seiner zerfließenden Schwester, den Film »Die wunderbare Welt der Amelie« so zu kommentieren, wie er es jetzt tut: »Och nee, ne?«
Dennoch hat er genug Einfühlungsvermögen, um sich neben mich zu setzen und mich sein Bier mit den Zähnen öffnen zu lassen. Amelie schaut uns so ausdrucksvoll an, dass wir beide keine blasse Ahnung haben, was ihr Blick genau ausdrücken soll. Und dann sagt sie etwas, etwas Mädchenhaftes, was ich nicht verstehe, weil mein Bruder grad dazwischengrölt: »Hey, mit leerer Bluse spricht man nicht!«
Darüber können wir beide so ausdauernd lachen, bis der Film endlich vorbei ist und »Die Harder« beginnt. Schade, jetzt habe ich die Szene verpasst, in der das Pferd die Radfahrer überholt. Ich mag dieses Pferd. Weil es einfach seine Weide verlässt und sein Ding durchzieht. Es sieht nicht aus, als würde es »Prinz« heißen oder kleine Mädchen
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