Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
dem Polieren von Zinnsoldaten, und täuschte ihm gekonnt vor, auch den Rest unserer Familie zu mögen. Doch sobald er aus dem Haus war, zeigte sie uns ihr wahres Gesicht. Sie drohte meiner Mutter damit, Amnesty International zu kontaktieren, wenn sie nicht jeden Abend ausschließlich rohen Brokkoli mit Ahornsirup serviere, beschimpfte meine Schwester als dummes Flittchen und behandelte meinen Bruder wie ein Geschwür. All dies konnte ich aus meinen sicheren Verstecken hinter den Zimmerpflanzen beobachten. Obwohl ich alles petzte, weigerte sich mein Vater, Natascha nach Übersee zu verbannen.
»Sie kommt aus einem anderen Kulturkreis«, beschwichtigte er uns, »ich bin sicher, wir alle können noch eine Menge von ihr lernen.«
Also lernten wir, dass die Kanadier nicht nur völlig wild auf das Abholzen gigantischer Wälder waren, sondern auch stets im Kleinen bemüht, der Umwelt jederzeit den Garaus zu machen. Fasziniert sahen wir dem Ritual der Tischtennisschlägerpflege zu, das Natascha mit religiöser Hingabe vollzog. Sie verbrauchte eine riesige Flasche atemwegverkleisterndes Spray für die Schlagfläche, jeden Abend. Die Ozonschicht wich, die Augen tränten, der Ficus welkte. Auf meine schüchterne Frage, ob Natascha schon einmal etwas von FCKW gehört habe, ließ sie mich auf die ihr eigene charmante Art wissen: »Hör zu, du Öko-Freak, reiß dein Maul nicht soweit auf, weil ich ein paar Fliegen töte. Es sind ja keine sechs Millionen Juden, nicht wahr?«
Dafür, dass sie erst eine Woche im Land war, war sie ziemlich gut informiert.
In der Öffentlichkeit war Natascha der Liebreiz in Person. Sie freundete sich absichtlich mit jenen Schnepfen an, die wir schon zu Kindergartenzeiten gehasst hatten, und brachte diese mit zu uns nach Hause. Zwischen ausgedehnten Tischtennisspielen vergaß Natascha nie, ihren neuen Freundinnen Lügengeschichten über uns zu erzählen, und obwohl ich seit Nataschas Ankunft Demütigung gewohnt war, hatte es doch eine ganz neue Qualität, ausgerechnet von der hysterischen Dörte Mehlmann über meine angebliche Vorliebe für illegale Rauschmittel zu hören, die Natascha in meinem Ficus gefunden haben wollte.
Als unsere Mutter davon erfuhr, fragte sie telefonisch bei Mehlmanns nach, ob es möglich wäre, dass Dörte und Natascha ihre nächsten Treffen bei ihnen abhalten könnten, vielleicht für ein, zwei Monate. Obwohl unsere Mutter noch die Tischtennisplatte drauflegen wollte, um den Deal für Mehlmanns interessanter zu gestalten, sagten diese dankend ab, angeblich aus Platzmangel.
Als meine Schwester daraufhin scherzhaft ermunternd vorschlug, dass wir das Gästezimmer ja einfach zumauern könnten, um ebenfalls Platzmangel zu simulieren, konnte sich unsere Mutter erschreckend schnell für das Projekt erwärmen:
»Ja, das machen wir. Wenn sie darin schläft. Sie muss ja irgendwann schlafen, oder? Eurem Vater sagen wir, siewäre weggelaufen. Mit seinen Zinnsoldaten. Wir werden uns dann alle eine Weile trennen müssen, bis Gras über die Sache gewachsen ist, aber eines Tages Kinder …!«
Meine Mutter ist normalerweise nicht der Typ für innige Umarmungen an gewöhnlichen Donnerstagen. Als sie nach einigen Minuten ihren Griff lockerte und tapfer ihre Tränen wegwischte, erkannten meine Schwester und ich, dass wir Natascha vielleicht hassten, aber für meine Mutter mehr auf dem Spiel stand. Sie war in keinster Weise fähig, ihre Wohnung, ihr Leben und ihren Mann noch länger mit der Natter zu teilen. Dabei war Natascha erst seit einem Monat bei uns. Zwei Meter von uns entfernt, im Wohnzimmer, hockte das Biest, spielte mit meinem Vater Backgammon, lachte über seine alten Witze, und er freute sich darüber. Das Verwirrende war, dass Natascha dabei nicht die Rolle des nymphomanischen Au-pair-Wesens einnahm, das sich in schmuddeliger Softpornomanier an ihn heranzumachen versuchte. Dafür war sie zu schlau. Sie bemühte sich vielmehr, die beste Tochter von allen zu sein, indem sie meinen Vater bedingungslos anbetete. Und – er biss an.
»Hätten wir einen Hund gekauft, würde das hier nicht passieren«, grollte meine Schwester.
Obwohl meine Mutter ihr zustimmte, löste das nicht unser Problem.
»Wir müssen sie von ihm ablenken,« konstatierte ich nüchtern, »vielleicht mit einem Stöckchen oder so.«
Wiederum war es meine Schwester, die trotz ihres romantischen Gemüts oft zu logischen Lösungen neigt: »Vielleicht sollte sie sich in einen Jungen verlieben.«
Meine Mutter
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