Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
weißte?
Wenn ich ein Mädchen wär
Alle kleinen Mädchen wollen ein Pferd haben. Die meisten erholen sich so gegen zwölf von dieser Idee und wünschen sich dann doch lieber einen Freund, der aussieht wie ein Prinz mit vollem, dunklem Haar.
Wenn es nicht so gut läuft, sparen die Mädchen Geld, bis sie dreißig sind, kaufen sich dann ein Pferd, nennen es »Prinz« und züchten die beliebten dunklen Haare selbst, unter ihrer Oberlippe.
Mein Problem war von Anfang an, dass ich kein Pferd haben wollte. Ich wollte ein Pferd sein.
Während meine Reiterhof-Freundinnen ganz wild darauf waren, sich in den Sattel zu schwingen, Dressurkunststückchen zu erlernen und an Turnieren teilzunehmen, stand ich einfach nur auf der Weide. Ich empfand diese Beschäftigung als ungeheuer beruhigend, vor allem, wenn noch andere Pferde mit mir auf der Weide waren. Ich spürte, dass sie mich akzeptierten, an der vertrauten Art, in der sie sich an mir schubberten, wenn ihnen das Fell juckte. Vielleicht war ich für sie kein echtes Pferd, aber doch wenigstens ein schlauer Baum und nicht eins von diesen grässlichen kleinen Mädchen.
Als ich zwölf wurde, sah ich den Film »Gorillas im Nebel«, der völlig ohne Prinzen auskam, dafür aber eine konkrete Botschaft an mich richtete: »Du kannst nicht einer anderen Spezies angehören, und wenn du es doch versuchst, spielt dir irgendwann Sigourney Weaver dein verpatztes Leben vor und erhält dafür noch einen Oscar.«
Heute, mit über dreißig, wünsche ich mir manchmal, ich wäre ein echtes Mädchen geworden, eines, das heute immer noch ein Mädchen ist. Also gehe ich wieder hinaus, auf die Weiden dieser Welt und stelle mich unauffällig dazu.
Echte dreißigjährige Mädchen, also solche, wie ich eins werden möchte, kann man am besten in ihren Arbeitswelten studieren. Diese sind an sich schon ein Naturphänomen: Sie befinden sich stets in jenen Vierteln einer Großstadt, die schwer im Kommen sind. Meistens sogar so schwer im Kommen, dass sie es nie ganz schaffen werden. Genau dort aber können die Mädchen mit ihrem Nestbau beginnen. Instinktiv finden sie ein abgewracktes Ladenlokal im Souterrain, aus dem man mit viel Liebe etwas machen kann. Und sie machen immer einen Taschenladen daraus. Ein richtiges Mädchen-Lädchen. Und neben diesen selbst entworfenen, riesigen Taschen entstehen in den dem Lädchen angeschlossenen Werkstätten auch noch winzige, niedliche Röckchen. So werden andere echte Mädchen angelockt, die sich aber schweren Aufnahmeprüfungen unterziehen müssen, bevor sie ein Stück aus der Mädchen-Lädchen-Kollektion ihr Eigen nennen dürfen. Denn ein echtes Mädchen-Lädchenhat nur mittwochs von elf bis drei geöffnet, außer, man steht zufällig an einem Mittwoch davor, dann hat es Ferien. Sollte man aber die wenigen Minuten des Tages erwischen, an dem das Chef-Lädchen-Mädchen eine Audienz gewährt, gibt es nur eine Parole, die einem zum tatsächlichen Eintritt in ihr Reich gewährt. Und diese lautet bestimmt nicht: »Ich schau mich nur um«, oder: »Guck mal, das ist doch so ähnlich wie der Kram, den die Anne-Marie damals gemacht hat.« Die einzige Möglichkeit, unbeschadet in solche Lädchen hineinzugelangen, besteht darin, erstarrt auf der ersten Stufe stehen zu bleiben und dann so ergriffen wie möglich zu rufen: »Das ist ja unglaublich, wie viel Arbeit dahintersteckt. Und Kreativität! Das hat ja so was gaaaaaanz Eigenes. Toll!«
Einem echten Mädchen wird dieser Teil der Integration keinerlei Probleme bereiten. Direkt im Anschluss schnappt es sich zwei, drei der winzigen Röckchen und überlegt angestrengt, ob es zwei oder drei von ihnen erwerben will, denn obwohl sie alle total unterschiedlich sind, passen sie perfekt zu den karierten Schnürstiefeln, die es sich in der Woche zuvor geleistet hat. Entscheidet es sich schließlich für drei der gestreiften Stofffetzen, bekommt es von der Chefin höchstpersönlich noch einen fragwürdigen Button geschenkt, der aus einem alten Waschlappen gefertigt wurde und regulär zwölf Euro kostet. Im Idealfall beschließen das Chef-Mädchen und das Einkaufsmädchen, mal etwas zusammen zu machen, denn das Einkaufsmädchen kennt sich zufällig mit dem Gestalten von Internetseiten ein wenig aus, und es wird sich geeinigt, wie wichtig Networking sei.
Solcherlei Szenen beobachte ich neidisch, versteckt hinter einem Bündel riesiger Taschen, hinter das ich unbeobachtet gehuscht bin, als die Ladeninhaberin am Telefon ihren
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