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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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raubten oder ihre Reisekrankheit ausdehnten. Keine nervtötenden Veranstaltungen in der Schulaula, keine vergessenen oder entführten Haarbürsten, keine niedere Lebensform mehr. Keine Graziellas oder Olgas, sondern endlich einen Bello, einen Chico oder eine Princess.
    Zu unserem Schrecken beendete meine Mutter ihren Satz folgenschwer mit den Worten: »Die armen Mädchen haben einfach keine Zeit, sich vernünftig bei uns einzugewöhnen. Wie sollen sie denn in drei Wochen lernen, wie man einen Duschvorhang benutzt und
Bitte!
sagt? Ein Vierteljahr wird man dazu schon brauchen.«
    So gerieten wir an Natascha. Ihre Briefe wirkten höflich und zurückhaltend, das beigelegte Foto stimmte uns milde. Ihr wuscheliger Lockenkopf und ihr schüchternes Lächeln ließen sie harmlos erscheinen. Meine Geschwister und ich waren sicher, ihr mit ein paar Leckerlis die Grundkommandos wie »Sitz!« und »Pfui!« beibringen zu können. Wir dachten tatsächlich, dass wir die Evolution austricksen und einfach zwei Stufen überspringen könnten.
    In dem Moment allerdings, in dem Natascha die Türschwelle übertrat, war uns klar: Wir hatten uns eine Schlange ins Haus geholt.
    »Das werde ich nicht essen!«, waren die ersten Worte, die Natascha an meine verdutzte Mutter richtete. Natürlich sagte sie diese Worte in jener selbst ausgedachten Sprache, die Franko-Kanadier für Englisch halten. »Eiähm noooot going to iiet sisssss!«, züngelte das Otterngezücht also zur Begrüßung, und meine Mutter stand hilflos mit ausgestreckter rechter Hand da, in der linken die Käsesahnetorte, die nur an hohen Festtagen gereicht wurde.
    Bevor meine Mutter also zu einer entsprechenden Antwort fähig war, wie etwa Natascha die Torte ins Gesicht zu feuern, blickte diese abschätzig auf uns herab. Ein Trick, den ich bis heute an ihr bewundere, denn sie war einen Kopf kleiner als wir alle.
    »Sisss stuff makes you fatt!«, konstatierte Natascha, und wir alle, ausgenommen mein Vater, der Englischlehrer war und tatsächlich ein bisschen korpulent, verstand ihre subtile Anmerkung sofort.
    Bevor wir sie jedoch aus diesem Grunde aus tiefstem Herzen hassen konnten, holte sie zum nächsten Schlag gegen uns aus:
    »Da keiner hier meine Sprache oder auch nur die englische versteht, werde ich wohl ein bisschen besser deutsche Sprache lernen müssen, nicht wahr?«
    Dann stolzierte sie in das Zimmer, das sie für das ihre hielt.
    Wir hielten sie nicht zurück. Stattdessen fasste jeder von uns einen ziemlich konkreten Plan, wie er die folgenden drei Monate zu überleben gedachte.
    Meine Schwester flüchtete sich in altersbedingte Beschwerden: Sie beschloss, sich von nun an nicht entscheiden zu können, ob sie ihre ganze Liebe auf ihren Tennislehrer konzentrieren oder sich doch besser bis zur Ehe mit Jon Bon Jovi aufsparen sollte. Dieser Zwiespalt derunerwiderten Gefühle sollte ausreichen, um ein Vierteljahr lang darüber hinwegzusehen, dass eine Schlange in ihrem Bett lag.
    Mein Bruder behauptete plötzlich, einer Sportart namens Hockey zu frönen, und nach einigem Suchen fand er schließlich einen Schläger und einen Verein, der keine Fragen stellte.
    Unsere Mutter dagegen dachte zunächst, sie könne das Biest einfach aushungern, dann aber musste sie geschlussfolgert haben, dass Natascha vielleicht unmittelbar vor dem Abflug in Kanada eine junge Ziege verspeist haben könnte und die Zeit bei uns dennoch ohne Mühe überleben würde. Also fiel ihr ein, dass sie meinen Bruder schon immer zu seinen Hockeyspielen hingefahren hatte, die von nun an jeden Nachmittag stattfanden.
    Ich für meinen Teil hielt es für ratsam, mir tagsüber Kirchen anzusehen und mich abends hinter dem Ficus zu verstecken. Als ich gerade aufstehen wollte, um den Wasserkocher aus der Küche zu holen, hielt mich mein Vater zurück: »Was für ein nettes Mädchen! Und so sprachbegabt.«
    Ehrlich erfreut griff er nach einem zweiten Stück Torte. Meine Schwester und ich lachten herzlich. Mein Vater nicht. Verwundert sah er uns an. Uns wurde klar, was geschehen war: Natascha hatte ihn auf dem Weg vom Flughafen gebissen und vergiftet, jetzt gab es nur folgende Optionen: als Familie zusammenzuhalten oder meinem Vater das infizierte Körperteil, sein Hirn, zu amputieren.
    Letztlich entschieden wir, dass wir verwandt genugmiteinander waren, um meinen Vater zu retten. Derweil verspritzte die Natter weiter ihr Gift. Natascha schleimte sich bei meinem Vater ein, heuchelte Interesse für sein abstruses Hobby,

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