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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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gernhaben. Es sieht aus, als wäre es ihm ganz egal, ob es ein Pferd ist oder nicht. Es will nur das Rennen machen, das ist alles.

Natterascha
    Da meine Mutter behauptete, auf Nagetiere aller Art allergisch zu reagieren, holten wir uns Austauschschülerinnen ins Haus. Erst wenn wir bewiesen, dass wir in der Lage wären, diese zu versorgen, käme vielleicht ein neuer Hund infrage.
    Zuerst bekamen wir Polinnen zugewiesen, immer zwei auf einmal, in unregelmäßigen Abständen. Da wir sie laut Merkblatt nie länger als vier Tage bei uns aufnehmen würden, sie nicht mit uns sprachen und sie sich allesamt erschütternd ähnlich sahen, verzichteten wir darauf, ihre Namen erfahren zu wollen. Allein mein Bruder, dem gerade seine unsichtbaren Freunde ausgegangen waren, behauptete, sie voneinander unterscheiden zu können. Wenn sie in aller Stille frühmorgens das Haus verließen, um sich von ihrer Reiseleitung durch die Kirchen Münsters scheuchen zu lassen, erfand er neue Namen für sie und behauptete, sehr wohl erkannt zu haben, ob gerade »Goldie« oder »Swimmy« unbemerkt wieder durch die Tür gehuscht sei, um sich die Nacht über hinter den Pflanzen im Gästezimmer zu verstecken.
    Emotional wurden die polnischen Fische erst am Tagihrer Abreise, wenn sie meine Mutter stürmisch umarmten und ihr ausgesuchte Gastgeschenke überreichten, wie etwa einen Bildband über den Papst oder eine Wagenladung Spitzenzierdeckchen. Viel mehr haben wir nie über das geheime Leben der Polinnen erfahren. Einmal entdeckten wir hinter dem Ficus einen Wasserkocher und eine leere Tüte Fertig-Soljanka. Wir Kinder waren froh, ein Zeichen für wenigstens nächtliche Aktivität gefunden zu haben, und hielten den Ansatz von Nestbau für ein gutes Zeichen. Unsere Mutter aber schimpfte den halben Tag lang über das arme Mädchen, fragte sich und den Rest der Welt, ob es vielleicht in unserem Hause nicht ausreichend oder nahrhaft genug zu essen gäbe und ob man sich in gewissen Ländern nicht der Gefahr bewusst wäre, die elektrische Küchengeräte auf Teppichen heraufbeschwören könnten. Dann nahm sie den Stapel Zettel zur Hand, den wir neben dem Telefon aufbewahrten. Darauf waren die Adressen sämtlicher Gäste notiert, und meine Mutter grübelte lange, ob sie nun Jolanta, Martha, Agnes oder Daria den Wasserkocher zusenden sollte. Schließlich obsiegte die Scham. Sie verschickte vier nagelneue Wasserkocher in den Ostblock. Außerdem besorgte sie einen schmucken Karteikasten für die Zettel. Neuzugänge in unserer Austauschagentur wurden nur noch mit Foto archiviert. Das System erwies sich nützlich zur nachträglichen Fischbestimmung, aber gegen die Unzulänglichkeiten höher entwickelten Austauschgetiers versagte es kläglich.
    Krallenfrösche waren die Mädchen, die von uns aufgrund unvorsichtiger Teilnahme an mediterranenSprachkursen an unserer Schule tagelang bespaßt werden mussten. Meine Schwester bekam bei jeder Runde jene Kaliber zugeteilt, die nicht erst »Trouble« auf ihr T-Shirt schreiben mussten. Die meisten aber taten es dennoch.
    »Bitte nicht die, die die ganze Zeit ihren Kaugummi um den Finger wickelt«, beteten wir. Aber natürlich war es immer Graziella oder Felicitas, die sich kurz und kuhäugig über den seltsamen Namen meiner Schwester wunderte, hysterisch Frederico oder Alexandro abknutschte, sich dann aus der Gruppe vor dem Reisebus löste und auf meine Familie zutrottete, als ginge es zur Darmkrebsvorsorgeuntersuchung.
    Krallenfrosch-Mädchen folgten immer ihren arttypischen Instinkten, um ihren Aufenthalt bei uns zu überleben. Unsere Wohnung betrachteten sie als Winter, als eine Art von Tiefkühlfach. Sie erstarrten dort, zeigten in geselligen Momenten mal auf etwas, was sie essen oder zur Kosmetik benutzen wollten, und tauten erst wieder auf, wenn sie ein Mitglied aus ihrem Teich in der Stadt erspähten. Dann hüpften sie aufgeregt herum, quakten und balzten. Wenn die Krallenfroschmädchen dann wieder bei uns zu Hause einkehrten, schlossen sie sich stundenlang im Badezimmer ein.
    »Wahrscheinlich, um abzulaichen«, mutmaßte meine Mutter. Später mussten wir jedoch feststellen, dass die Badezimmersessionen ausschließlich Kommunikationszwecken gedient hatten. Nachdem unsere Telefonrechnung sechs neunzigminütige Gespräche nach Florenz aufwies, platzte meiner Mutter der Kragen.
    »Keine Experimente mehr!«, schrie sie, und wir Kinder frohlockten. Keine fremden Menschen mehr, die bei uns Geige übten, uns unsere Zimmer

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