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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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ich von den Lichtern der Großstadt weg und hinein in die unbekannte Welt der Vorstadt chauffiert.
    Als wir spätnachts in East Windsor ankamen, konnte ich leider nicht überprüfen, ob die Angaben meines Vaters zum gesellschaftlichen Leben dort noch zutrafen. Aber ich lernte die beiden Söhne der Whitmans, Chris und Dean, kennen. Sie starrten mich an, als sei ich das Haustier, das sie sich nie gewünscht hatten. MeinGastgeschenk, eine Kuckucksuhr, zerstörten sie binnen weniger Minuten zunächst ungeschickt, dann systematisch. Ich spürte zum ersten Mal im Leben den Drang, meinen Bruder anzurufen und ihm zu gestehen, dass ich ihn großartig fände. Jedenfalls auffällig weniger gestört als die beiden Killerknödel, die seinen Job nun übernahmen.
    Ich entschuldigte mich, schlich in mein Zimmer und schloss die Tür dreimal ab.
    Nach vielen durchwachten Stunden traute ich mich aus meinem Versteck und bemerkte, dass ich mich allein im Haus befand. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, der mich darüber informierte, dass in einer halben Stunde mein Schulbus direkt vor dem Haus hielte und ich mich doch bitte, gemäß der alten Tradition, am ersten Tag in den Schulfarben ankleiden sollte. Neben dem Zettel stand ein Sechserpack Donuts mit Schokoglasur und eine Dose Weizenbier, auf die jemand »Gegen Heimweh« geschrieben hatte.
    Es war dieses perfekt auf mich zugeschnittene Lunchpaket, das mich tief berührte. So sehr, dass ich Hoffnung schöpfte. Warum nicht einfach mal etwas Neues versuchen, dem Land eine Chance geben und es einfach ausprobieren? Noch hatte ich Zeit und Gelegenheit genug, mich mit den Amis anzufreunden, ich bräuchte nur einen guten Masterplan, besser noch eine vollkommen neue Persönlichkeit, die ich mir bis zum Eintreffen des Busses zulegen wollte.
    Sehr bald wurde mir klar, dass mein ausgeklügelter Plan ins Wanken geraten war: Meine schnellgestrickte,aber detailverliebte Strategie hatte vorgesehen, nicht auf exotische Fremde zu machen, sondern die Intelligenzbestienkarte auszuspielen. Das schien mir sowohl aus naturgegebenen als auch aus dramaturgischen Gründen die richtige Wahl. Die erste Woche an der amerikanischen High School wollte ich schüchtern lächelnd verbringen, allein schon deswegen, um die Cheerleader in Sicherheit zu wiegen. Unweigerlich hätte die zweite Schulwoche dann mit dem Kennenlernen des neuen Referendars im Fach »English Literature« begonnen. Mister Halliwell wäre ein gut aussehendes, Energie versprühendes Exemplar von Lehrer, der trotz seiner zwanzig Jahre unglaublich reif und männlich wirkte. Alles stand mir bereits deutlich vor Augen: Wenn ich mich in der zweiten Stunde meldete, um die Stelle aus »Endstation Sehnsucht« nicht bloß aus dem Textbuch abzulesen, sondern frei vorzutragen, würden meine Mitschüler noch dreckig über mich lachen. Wenn ich dann allerdings die Brille abnähme, den Haarknoten löste und frei rezitierte, würde Halliwells Herz dahinschmelzen wie Butter in der Sonne. Es würde einige zu unabsichtliche Berührungen in der Theater-AG geben und natürlich die berühmte Szene nach der bejubelten Premiere, in der Mister Halliwell, Stephen, vor mir auf die Knie sinken und leise »Es darf nicht sein!« schluchzen würde. Um es spannend zu gestalten, würde dies natürlich von Amanda, Debbie und Tiffany beobachtet werden, die nun in einer elenden Schmutzkampagne versuchten, Mister Halliwell und mich der Schule verweisen zu lassen. Doch bei einem feurigen Buchstabierwettbewerb verwiese ich Amandain ihre Schranken. Heulend würde sie sich, wie auch die halbe Schule, als Analphabetin outen, und wohlwollend würde Mister Halliwell den Nachhilfeunterricht organisieren, jedoch nicht ohne anzumerken: »Das passiert eben, wenn man den ganzen Tag in zu kurzen Röckchen rumhüpft und Sportler anschreit!« Der Knaller würde natürlich der Abschlussball sein. Mit einem vom U S-Präsidenten persönlich unterschriebenen Zertifikat, das meine geistige und körperliche Volljährigkeit belegte, liefe ich dort unter tosendem Applaus der gesamten Schule in Stephen Halliwells Arme. Debbie und Tiffany hätten mir vorher die Haare gemacht, in meinem Kleid sähe ich einfach nur umwerfend aus, aber erst die Krone der Ballkönigin machte dieses Ensemble komplett.
    Eines meiner kleinsten Probleme von Anfang an war, dass ich weder Debbie noch Tiffany ausfindig machen konnte. Es waren nur lauter kleine Amandas anwesend, die allerdings alle Jennifer hießen. Wie die Jungen

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