Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
nichts wird von dieser Eskapade in Erinnerung bleiben als ein verständnisvolles Nicken. Verlassen werden ist wie ein Freifickschein von der AOK.
Leider hat das Verlassenwerden einen Haken. Zuvor will ein Partner gefunden werden, der am Gegenteil interessiert ist, also ein Loslasser. Und die sind gar nicht mehr so leicht zu finden. Die Zeiten, in denen Typen damit angegeben haben, durch wie viele Betten sie letzte Woche gehüpft sind, sind eindeutig vorbei. Stattdessen scheint sich eine Art Hardcore-Biedermeier-Trend in der männlichen Bevölkerung breitzumachen. Das heutige Kneipengespräch unter Männern stelle ich mir ungefähr so vor:
»Na, Jürgen, wie weit biste mit deiner neuen Schnalle?«
»Oh, ist alles super! Sie hat mich zum Essen eingeladen, und ich habe gleich meine ganzen Klamotten mitgebracht und bin eingezogen bei ihr.«
»Ey, super, und haste ihr schon von deinem baldigen Kinderwunsch erzählt?«
»Nee, mach ich morgen, beim Spieleabend.«
»Cool!«
Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass die Männer doch ausnahmsweise einen Schritt weiter gedacht haben, nachdem Frauen über Generationen hinweg stolz verkündeten, dass sie ihn verlassen haben und sich kein bisschen lächerlich vorkamen, in öffentlichen Diskotheken zu »I will survive« fröhlich mitzublöken, haben Männer die Vorteile des Verlassenwerdens längst schon erkannt. Das würde einiges erklären. Männer sind in Wahrheit gar nicht schusselig, schlampig oder unaufmerksam. Ihre erste Ehe und ihr Alkoholproblem sind nur Tarnung. Womit das Männergespräch auch einen ganz anderen Verlauf nehmen würde.
»Und, Jürgen, haste sie jetzt endlich von deiner absoluten Lebensuntauglichkeit überzeugt? Ich meine, so richtig, mit tagelang vor der Glotze hängen und Suizidandeutungen?«
»Denke schon. Noch drei, vier Wochen, dann haut sie mit Sicherheit ab. Dann kann ich endlich mal die versiffte Bude aufräumen und schaffe meine Zwischenprüfung.«
»Korrekt, Jürgen!«
Manchmal sind Männer wirklich klüger.
This is not America
Eines Tages beschloss meine Mutter, sich auf furchtbare Weise an der westlichen Welt zu rächen. Sie holte zu einem Rundumschlag aus und ließ mit ihrer einmaligen Aktion all jene verzweifeln, die jahrzehntelang an die Segnungen der Reisefreiheit und des sogenannten kulturellen Austausches geglaubt hatten. Gleichzeitig erteilte sie meinem Vater, dessen größte Schwäche von jeher die Gastfreundschaft war, eine Lektion. Denn nach Natterascha, der zwölften Austauschschülerin, die in unserem Heim ihre Persönlichkeitsstörung hatte voll ausleben dürfen, riss meiner Mutter der Geduldsfaden. Sie sandte ihre Geheimwaffe aus, dorthin, wo sie den Feind an seiner empfindlichsten Stelle treffen sollte. Sie schickte mich in die Vereinigten Staaten von Amerika.
Natürlich traf mich ihre Entscheidung nicht unvorbereitet. Tage zuvor hatte ich quengelnd auf der Couch gesessen und behauptet, dass alle anderen immer alles dürften, auch nach Amerika fahren. Bis heute weiß ich nicht, was ich mit dieser Nörgelorgie eigentlich bezweckte. Ich kann mich nur noch entsinnen, dass meine Mutter plötzlich ein schwarzes Notizbüchlein hervorkramte,es aufschlug und meinem Vater wortlos überreichte. Der wählte eine vierzehnstellige Nummer und schnatterte gut gelaunt in den Hörer: »Wendy-Lou, it’s Werner. Sorry, I didn’t call you for thirty years, but would you know anyone who would like to have my daughter?«
Von diesem ersten Gespräch an bis zu dem zweiten und letzten vor meinem Abflug war nie die Rede davon, »how long« irgendeine amerikanische Familie aus dem Bekanntenkreis der Ex-Verlobten meines Vaters mich gern haben wollte. Wahrscheinlich gehörte auch dieser raffinierte Schachzug zum Masterplan meiner Eltern: Je weniger ich von meinem Angriffsziel wusste, desto weniger Gedanken würde ich mir um die zivilen Opfer dort machen. Mein offizieller Auftrag lautete: Im Staat Connecticut von Bord gehen, mich in eine Kleinfamilie einschleusen, die Schule besuchen, allerhand großartige Freundschaften schließen, um dann putzmunter mit vielerlei Eindrücken zurückzukehren. Solcherlei Phrasen schrieben meine Eltern zumindest in dem Brief an meine zukünftigen Eltern, dem sie außerdem noch ein nicht zu aktuelles Foto von mir beifügten. Man wollte die Amis nicht warnen, indem man ihnen gleich das Bild einer unsicheren Sechzehnjährigen präsentierte, deren Hobbys augenscheinlich Pickelausdrücken und Haarefärben waren.
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