Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Pantherhosen Richtung Medienraum und sah mich für einen kurzen Augenblick gerettet. Zwei mexikanische Austauschschüler erwarteten mich bereits, scheinbar sollten sie sich auf ähnliche Weise beim amerikanischen Volk entschuldigen, wie ich dank meiner bruchstückhaften Spanischkenntnisse von ihnen erfuhr. Beide reichten mir bis zur Brust und waren in schwarze Ponchos gehüllt. Das Fernsehteam bestand aus dem üblichen Grüppchen Nerds, die ihre Brillen, Frisuren und Floskeln im Sammel-Abo bestellt hatten. Ihr äußerst dürftiges Drehbuch, das sie zu unserem Spontanauftritt erstellt hatten, wussten meine neuen mexikanischen Freunde und ich gehörig nachzuwürzen. Als die Brillenschlangen uns bei der Live-Übertragung fragten, aus welchem Land wir stammten, riefen Pedro und Juan so freudig, laut und oft »Mexiko!«, dass auchich mir spontan eine neue Staatsbürgerschaft zulegte und in den Chor mit einfiel. Die Reaktionen waren vorhersehbar: Pedro und Juan nahmen mich in ihre Mitte, setzten mir einen Sombrero auf, und wir tanzten Macarena. Die Kamerafrau hielt einfach drauf. Dann wurde es uns zu langweilig, immer nur »Mexiko!« zu brüllen, und wir sangen »Tequila«. All das wurde in sämtliche Klassenräume übertragen, bis die Leitung plötzlich unterbrochen wurde. Hinter den Brillen wurde geweint.
Ich sah mir das letzte Standbild auf dem Monitor an. Dank des Sombreros, der Ponchos und unserer klug gewählten Aufstellung sahen Pedro, Juan und ich nicht etwa wie drei besinnungslose Banditos aus – wir sahen aus wie ein riesiges, zuckendes, erigiertes schwarzes Glied vor einer Wand aus Anti-Drogen-Postern. Doch erstaunlicherweise hatte die Filmcrew eher Probleme mit dem Ton. Es sei an amerikanischen Schulen strengstens verboten, den Genuss von Alkohol zu propagieren, erklärte man uns. Wir entschuldigten unser Verhalten kleinlaut auf Spanisch und erwähnten noch kurz den fürchterlichen Krieg daheim.
Mein restlicher Schultag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass die Leute absichtlich auf meinen Pantherschwanz traten, wenn ich den Flur hinunterschlich. Ich machte mir keine Hoffnung mehr, dass ich für meine restliche Aufenthaltszeit auch noch Pantys Oberkörper anziehen dürfte. Dafür war ich mir sicher, dass mein erster Eindruck bereits ausgereicht hatte, um des Landes verwiesen zu werden.
Nach einer Busfahrt, die ich im Stehen verbrachte, erwartete mich meine neue Mutter in meinem neuen Zuhause. Sie war ein kompaktes Frauenzimmer mit tiefer Stimme. Wenn sie, wie damals, ihre Arme in die Hüften stemmte, sah sie aus wie eine Mischung aus bombastischer Teekanne und nordischer Rachegöttin.
»Ich habe gehört, was in der Schule passiert ist. Ab in den Wagen.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es dann doch so schnell nach Hause gehen würde. Zum Packen war keine Zeit, vielleicht hatten sie meine Habseligkeiten auch schon verbrannt. Durch das Wagenfenster wollte ich dem kleinen Ort, den ich zwei Tage lang mein neues Heim hatte nennen dürfen, schüchtern zum Abschied winken. Doch dann bemerkte ich, dass wir den Ort nicht verließen.
»Wo geht’s denn hin?«, getraute ich mich schließlich zu fragen, und grollend erwiderte meine Gastmutter: »Zur Kirche.«
So leicht würde ich also nicht davonkommen. Im besten Fall hatte die Gemeinde einen kleinen Exorzismus für mich organisiert, im schlimmsten Fall warteten schon alle mit Fackeln und Mistgabeln auf mich.
Wir stoppten hinter der Kirche in einem kleinen Wäldchen. Meine Gastmutter sah mich an, als ob es ihr ein wenig leid täte, dass sie mich nun mit dem Spaten erschlagen und verscharren müsse. Schließlich sagte sie: »Du bist wirklich nicht aufgestanden, um auf die Flagge zu schwören?«
»Nein«, murmelte ich kleinlaut und vergrub meinenKopf in meinem Jackenkragen. Das folgende Donnerwetter wollte ich lieber nicht hören. Aber ich hörte nur ein Seufzen, dann ein Kichern.
»Großartig!«, rief meine Gastmutter aus, langte in ihre Handtasche und zauberte eine Lunchbox mit Snoopy-Aufdruck hervor. Sie öffnete die harmlos wirkende Schachtel und entnahm ihr eine enorme Zigarre. Wollte sie mich damit verprügeln?
Meine Gastmutter schnitt die Zigarre mit einer Nagelschere auf. Vielleicht sollte ich durch den Verzehr von Nikotin sterben. Wenn man meine Vorgeschichte bedachte, könnte sie es leicht wie einen Unfall aussehen lassen. Aber meine Gastmutter lehnte sich zurück und gab mir eine ganz andere Lektion, die ich
Weitere Kostenlose Bücher