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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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nie vergessen sollte:
    »Weißt du, Amerikanerin zu sein ist nicht immer leicht. Ständig müssen wir lächeln, uns überall rasieren und unseren Kindern die Ohren zuhalten, wenn wir fluchen. In den Sechzigerjahren wurde dann vieles einfacher. Es war leicht, an Drogen zu kommen, alle entspannten sich ein bisschen.«
    Sie nahm ein Tütchen aus der Snoopy-Box und füllte die Zigarre mit deren Inhalt – mindestens vier Gramm recht eindeutiges Gewürz, wie ich erstaunt bemerkte.
    Kopfschüttelnd fuhr sie fort: »Dann kamen die Siebziger und machten alles zunichte. Um an Entspannung zu kommen, musste ich mir was einfallen lassen. Also wurde ich Polizistin.«
    Sie zündete die Zigarre an, rauchte und schaute mich an:
    »Was du da heute in der Schule getan hast – ist durchaus ausbaufähig!«
    Sie zog erneut an der Zigarre und bekam einen Lachkrampf. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen, strich mir mütterlich über den Kopf und erklärte: »Das war kein echtes Gras. Ich wollte nur mal schauen, wann dir die Augen aus dem Kopf fallen. Aber genau darum geht es. Etwas Unerwartetes zu tun, den Leuten mal so richtig auf das Brett vor ihren Köpfen hauen. Und das hast du heute getan, ich bin stolz auf dich, mein Kind, weiter so!«
    Sie drehte den Zündschlüssel um, und wir fuhren Richtung Stadtzentrum, nicht zum Flughafen. Ich war immer noch sprachlos. Wohin war ich geraten? War das ein Test für eine neue Unterhaltungsshow, etwas wie »David Lynch’s versteckte Kamera?« Oder konnte es sein, dass ich in einer unglaublich amerikanischen Polizistin wirklich eine Verbündete fürs Leben gefunden hatte?
    Als wir kurz darauf vor dem Laden für Scherzartikel hielten, beantwortete meine zweitbeste Mutter aller Zeiten meine Fragen, indem sie mich vertrauensvoll um Rat fragte: »Was, meinst du, kommt besser zu Halloween an? Ein Spray, das sofort nur nach faulen Eiern riecht oder eines, dass erst nach Vanille duftet und das Eier-Aroma erst nach einer Stunde entfaltet?«
    Wir entschieden uns schließlich für beide Varianten, um in Zukunft auf jede erdenkliche Situation vorbereitet zu sein.
    Meine verbleibende Zeit in East Windsor verbrachteich hauptsächlich damit, in der Schule schüchtern zu lächeln und den Cheerleadern auszuweichen. Mister Halliwell glänzte durch Nichtexistenz, die Theatergruppe ebenfalls. An Nachmittagen tat ich, was eine gute amerikanische Tochter so tut, wenn sie mit ihrer noch besseren amerikanischen Mutter unterwegs ist: Zeitungen austeilen, Pfadfindertreffen organisieren, Muffins backen, Unkraut jäten – und ganz nebenbei die Gesellschaft aus der Fassung bringen. Ich habe wenige gute Freunde gewonnen und viele neue Eindrücke hinterlassen. Wie ich nach meiner Abreise erfuhr, ist Jennifer schließlich Ballkönigin geworden. Der Abend wäre perfekt für sie gelaufen, wenn ihre Limousine nicht auf dem Weg zum Tanzsaal von einer Polizeistreife gestoppt worden wäre. Die Beamtin war jedoch sehr nett zu sämtlichen Jennifers im Wagen. Sie bestätigte ihnen lächelnd, wie bezaubernd alle aussähen, und bot an, schnell noch mal allen ihr Haarspray zu erneuern. Sie habe da ein Fläschchen dabei, eine ganz neue Formel mit Vanilleduft.

Mein Lieblingsbuch
    Am Anfang war es nur eine Amour fou, aber das liegt an meinem Aszendenten. Da bin ich nämlich Löwe und gehe deshalb auch in der Liebe immer auf die Alten, Kranken und Schwachen los, um sie von der Herde abzusondern, zu verschlingen und somit ein natürliches Gleichgewicht in der Welt zu schaffen. So fing es auch mit uns an, an jenem denkwürdigen Tag.
    Mein Lieblingsbuch lag da, hilflos, auf verlorenem Posten, auf dem Wühltisch der Bahnhofsbuchhandlung. Es lag dort schutzlos unter lauter Mängelexemplaren und schrecklichen Frauen-für-Frauen-Büchern mit schmerzfreien Titeln wie »Auf der Pizza steht Amore – die Gigolo-Diät« oder »Meine Macken, meine Männer, meine Menopause«.
    Zu allem Überfluss hatte man mein Lieblingsbuch auch noch zusätzlich gedemütigt, indem man ihm einen riesigen, pfeilgiftfroschfarbenen Sticker auf den Einband geklebt hatte, auf dem die beiden Worte »Letzte Gelegenheit« prangten. Als ich das las, ging ich einen Augenblick in mich und dachte über den schmalen Grat zwischen Werbung und Warnung nach.
    Wenn ein zum Verkauf stehender Artikel mit »Letzte Gelegenheit« angekündigt wird, muss ich immer an meine Tante Anneliese denken. Bei meinen seltenen Besuchen in ihrem Haus bot sie mir stets sofort einen kleinen Snack

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