Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Kinderstar ist und das alles angeblich nicht nötig hat. Die Sonne nervt mich, auch wenn ich sie nur alle sechs Sekunden sehe, also wenn meine Augen gerade hinter Kuala Lumpur sind.
Alle anderen Planeten durften schon nach Hause gehen, Mars und Pluto, weil sie außerhalb des Bildes kreisten, der dicke Saturn, weil er seine Ringe immer verlor. Venus hatte noch eine Reitstunde, und Mars musste zum Karatetraining. Heute Nachmittag habe ich zum ersten Mal verstanden, welche negativen Folgen die Globalisierung tatsächlich hat. Es ist nicht automatisch gut, wenn Kinder was für Kinder produzieren, seien es nun Markenturnschuhe in Indonesien oder eben Lehrfilmchen für den Kinderkanal.
Die Sonne greint schon wieder, weil sie ihre Rolle nicht versteht.
»Scheinen, Baby, scheinen!«, murmele ich und frage mich, warum ich nichts Anständiges gelernt habe. Dann keimt in mir die Frage, ob man diese Wissenschaftsshowfür Kinder nicht doch hätte anders gestalten können, irgendwie unaufwendiger. Als mir der Regisseur, mit dem ich bis vor kurzem lose befreundet war, von dem Dreh erzählte, klang das auch alles ganz anders. Ich sah mich als eine Art weiblichen Ranga Yogishwar die Galaxis erklären, hübsch geschminkt, angetan mit einem türkisfarbenen Sari. Erst als ich am Set den Vertrag unterschrieben hatte, bemerkte ich, dass wir, die Laiendarsteller, die lustigen Planeten sind, die riesige Styroporkugeln um den Kopf herum tragen. Und da ich die einzige Volljährige vor der Kamera bin, darf ich die größte Rolle spielen: Mutter Erde. Dass die Sonne, rein wissenschaftlich gesehen, einen Hauch größer ist, ist für den Film eher unerheblich, das kann man später in der Postproduktion tricksen, wurde mir erklärt. Alles jedoch, was meine Rolle angeht, kann man nicht tricksen. Gestern haben wir die Mondfinsternis gedreht, das war okay, bis der Mond sich zwei Schneidezähne an mir ausgehauen hat. Aber die mussten eh raus, anders als meine Kniescheibe gerade.
»Wenigstens können wir das Kostüm kleben«, sagte die Produktionsassistentin, zog das alte Kind aus seinem Kugelkopf und pflückte ein anderes vom Feld. Den Alexander hat sie genommen, der noch vom Jupiter-Einzeldreh dageblieben war, der Streber. Alexander ist als Mond schon in Ordnung, aber menschlich eher so ein kleiner Kotzbrocken. Na ja, so ein typisches Kind, das bei Filmdrehs mitmachen darf. Kaum größer als sein Handy, aber schon Sätze sagen wie: »Wir waren mit der letzten Putzfrau ja nicht so zufrieden.«
Kinder! Plappern jeden Dreck nach. Zum Glück höre ich in meiner Kugel nichts, außer den Regisseur, wenn er durchs Megafon bellt, und der bellt gerade, dass wir erst das Bild neu einstellen müssen, also Pause, aber bitte im Kostüm bleiben.
Natürlich bleibe ich im Kostüm. Erstens bin ich erwachsen, zweitens komme ich allein gar nicht heraus. Finsternis bedeckt die Erde. Rundherum.
Eigentlich ganz gemütlich hier drin. Vielleicht klebe ich mir morgen ein Radio ans Ohr, zur Unterhaltung. Als die Requisiteurin gestern versucht hat, mich durch Kuala Lumpur hindurch mit Keksen zu füttern, hat das eine Menge Ärger gegeben und eine Mordssauerei. Also esse ich nur noch außerhalb meines Kostüms, aber dann ständig.
Vorgestern saß ich beim Essen hinter dem neuen Mond, Alexander, dem großen Schlauberger, der über Telefon seine Sommerferien plante: »Nicht in die Normandie, Papa? Ach so, Gigi kann die Kälte in dem Schloss nicht ertragen, das verstehe ich natürlich.«
Ich vergaß, dass ich gerade keinen Globus auf dem Kopf hatte und grinste feist. Mond-Alexander sah mich gekränkt an und bemühte sich, mir die Sachlage zu erklären: »Meine Oma Gigi war Primaballerina. Zarte Körper frieren leichter, wie man weiß.«
Verdattert antwortete ich: »Meine Oma hat gern Eintopf gemacht!«
Verächtlich schaute der achtjährige Mond mich an. Ich merkte, dass ich bei dem Blag auf diese Art nicht punkten konnte, also legte ich nach: »Aber mein Opa war Nazi!«
Der Mond wandte sich ab. Ich überlegte, ob ich wirklich so perfekt geeignet für die Rolle war, wie ich dachte. So wie ich mit Kindern umgehe, sollte ich vielleicht mal drüber nachdenken, mir die Eileiter verlöten zu lassen.
Vielleicht kann ich wenigstens heute mit Professionalität vor der Kamera glänzen, der Regisseur will mir zumindest die Gelegenheit geben, indem er die Pause für beendet erklärt:
»So, jetzt aber! Letztes Bild für heute. Erde bitte drehen, aber bitte schneller, auch den
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