Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Kopf!«
Ich stelle mich in Position. Mit blutigen Knien, schwerem Muskelkater, vom Mond verachtet, von der jugendlichen Fernsehnation schon sehr bald missverstanden.
Letztes Bild für heute, ich gebe alles, was man blind und lahm auf einem Fußballfeld so geben kann, nachdem man zuvor schon ein Schaltjahr lang den Minoritenhagel abgedreht hat. Ich lege alles in die Rolle hinein. Mutter Erde wird jetzt so was von im Kreis herumrennen, da können sich aber noch einige Planeten was von abgucken.
»Und los!«, höre ich den Startbefehl. Ich laufe los, renne einen perfekten Halbkreis, obwohl ich nur den Panamakanal vor Augen habe, jetzt den Pazifik und jetzt …
»Oh, ich muss mal dringend!«, schreit da die Sonne.
»Und stopp!«, brüllt der Regisseur.
Aber nicht mit Mutter Erde. Ich renne das Jahr zu Ende, und dann, wie einst Ikarus, der Sonne entgegen, an der Sonne vorbei, verlasse meine Galaxie und stoße den Regisseur um. Die Sankt-Andreas-Spalte tut sichauf, ich kann das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes sehen, der nun endlich sprachlos ist.
»Tja, Wissen macht au«, sage ich und verlasse gemessenen Schrittes das Stadion. Morgen muss ich nicht mehr kommen. Nicht schlimm. Ich glaube, die Klimakatastrophe hätte ich sowieso nicht überlebt.
Was ich dir noch sagen wollte
Manchmal stehe ich nachts auf und suche Greg. Ich google nach Greg, Gregg, Gregory, Gregory J., Gregory Cameron, Greg Jude Cameron. Ich finde immer nur seinen Namensvetter, den südafrikanischen Bischof Gregory Cameron, der stolz grinsend einen neuen Brunnen einweiht. Nichts gegen Bischof Cameron: Er scheint viel Gutes zu tun, und er hat einen feinen Sinn für Hüte mit Wiedererkennungswert. Aber er ist nicht der, den ich suche.
Ich dachte immer, Greg wiederzufinden würde verhältnismäßig einfach werden. Als wir uns kennenlernten, an einem heißen Junitag in Hollywood – ich jobbte damals in einer Jugendherberge –, war er der Einzige in meinem damaligen Bekanntenkreis, der das mysteriöse Internet nicht für eine Biowaffe der Russen hielt. Da ich Greg im Jahre 1995 traf, spricht dieser Umstand nicht gerade für das Allgemeinwissen meiner sogenannten Freunde. Zu ihrer Verteidigung muss ich allerdings erwähnen, dass diese andere Sorgen hatten. Wohnungslosigkeit, Identitätssuche, Beschaffungskriminalität und allerlei andere Zipperlein plagten mein Umfeld, zusätzlichwaren die meisten Amerikaner. Ihnen war anerzogen worden, dass zu viel Information Gefahr bedeutete. Greg hingegen stammte aus einer reichen südafrikanischen Familie, hatte in London Grafikdesign studiert und auf seine Weltreise genau das mitgenommen, was Reiseführer mit einem gewissen Sarkasmus empfehlen: halb so viel Gepäck und doppelt so viel Geld, wie man meint, tatsächlich zu brauchen. Aufgrund seiner Liquidität avancierte Greg zunächst zum Liebling der Kollegen in der Jugendherberge und der Bettler auf der Straße.
Greg und ich wurden Freunde, weil ich die Einzige war, die sich schwach daran erinnern konnte, was ein sorgloses Leben bedeutete, und er als Mann absolut nicht mein Fall war. Doch wenn er morgens die Treppe heruntergaloppierte, groß, blond und angetan mit fürchterlichen Trekkingsandalen, mit klarer Stimme den Koksleichen ein freundliches »Guten Morgen, Sonnenschein!« entgegenschmetterte, mich anstrahlte und fragte: »Sollen wir heute mal die Gegend entdecken – zu Fuß!?«, dann war es um mich geschehen. Greg wurde zu meinem allwöchentlichen Reiseleiter, wenn ich Urlaub von mir selbst benötigte.
Wir wären nicht in Hollywood gewesen, wenn nicht Gregs größte Stärke gleichzeitig seine größte Schwäche gewesen wäre. Greg sah sehr gut. Ihn als den eher visuellen Typ zu bezeichnen, wäre untertrieben. Er war ein Nur-Seher, ein Monotalent, das sich mehr oder weniger auf diesen einen seiner fünf Sinne zu verlassen schien. Zu seinem Pech hatte er zu diesem sensorischen Hauptfachkeine Fortbildungskurse besucht: Greg sah nicht in die Zukunft, er durchschaute die Dinge nicht, er sah kein Gut oder Böse, er sah nichts in einem größeren Zusammenhang und guckte nicht ab. Greg kam, sah – und freute sich. Er schien es für unnötig zu halten, etwas zu erfühlen, zu hören, zu schmecken oder zu riechen.
Zum ersten Mal fiel mir seine Behinderung auf, als wir in einem Café auf der Melrose Avenue saßen und vergorene Milchshakes serviert bekamen. Ich spuckte den ersten Schluck direkt wieder aus, er nahm einen tiefen Zug aus seinem Strohhalm,
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