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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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und während ich lautstark vor mich hin würgte, sagte er verträumt: »Also, dein orangefarbenes Haar mit den Augen, neben dem gestreiften Schirm, dieses Art-déco-Design dazu, das ist sooo   … amerikanisch! – Oh, nein, da vorne steht ein Mann mit Cowboyhut neben einem Plastikpferd, guck doch mal!«
    Ich sprang auf und kippte Gregs Milchshake vom Tisch. Ich versuchte ihm zu erklären, dass auch er sich keine Lebensmittelvergiftung leisten könne, aber Greg hörte gar nicht zu. Er beobachtete das faszinierende Farbspiel der Milcheisbrocken, die in der untergehenden Sonne langsam Richtung Santa Monica Boulevard flossen.
    Von diesem Moment an war mir klar, dass jemand auf Greg aufpassen musste – und dass ich für diese Aufgabe in keinem Fall geeignet war. Alles, was ich tun konnte, war, Greg weiterhin bei seinen Ausflügen zu begleiten, seine Zunge, seine Hand, sein Ohr, sein Verstand zu sein. Ein bisschen funktionierte es. Allerdings war ich stets,wenn Greg aufgeregt auf mich zu rannte und wie verrückt mit dem Zeigefinger auf irgendwelche Plakate, Straßenhuren oder Kakerlaken deutete, versucht zu fragen: »Okay, Lassie, was hast du gesehen? Bist du sicher, dass das nicht gefährlich ist? Oder vielleicht pfui?«
    Gregs finanzielle Situation ermöglichte es uns, die meisten Abenteuer unbeschadet zu überleben. Er war auch gut darin, Taxis zu erspähen, wenn es brenzlig wurde. Die völlig Verrückten hielten sich zum Glück von uns fern, weil sie
uns
für völlig verrückt hielten.
    Einmal lud Greg mich zu einem David-Bowie-Konzert ein, die
Nine Inch Nails
sollten die Vorgruppe geben. Allein das Anstehen für die Karten brachte Greg völlig aus dem Häuschen. Menschen guckte er am liebsten.
    »Schau doch, sie prügeln sich! Und der große schwarze Kerl da, er hat Beine wie Baumstämme. Hallo! Hallo, Mister! Ich wollte sagen: Guten Morgen, Sonnenschein!«
    In solchen Situationen stand ich da und versuchte, betreuend auszusehen. Ich lächelte Mister Baumstammbein patent zu, gestikulierte in einer Art mit den Händen, die ich für beschwichtigend hielt, und ließ mir Ausreden für Gregs merkwürdiges Verhalten einfallen. Dabei wog ich je nach Fall blitzschnell ab, ob ich dem wütenden Gegenüber nun diskret zuflüstern sollte, dass Greg beschränkt, schwul oder nicht aus dieser Gegend sei. Die meisten verpassten ihre Chance, Greg zu schlagen, weil er wieselflink in eine andere Richtung sauste – er sah schnell etwas Neues.
    Das Konzert als solches war ein Reinfall. Während Mister Bowie seinem Alter gemäß über die Bühne rockte,waren dem Publikum Sitzplätze zugewiesen worden. Stimmung kam keine auf, die Akustik war grauenhaft, Greg hielt die Bühne für suboptimal ausgeleuchtet. Allerdings fanden seine Augen eine Ersatzattraktion, die direkt neben uns saß: ein in Lack und Leder gekleidetes Pärchen. Sie hielt ihn an einem Nasenring an der Leine und fütterte ihn gleichzeitig mit Popcorn. Zwei Stunden lang starrte Greg die beiden an, mit offenem Mund, und ich beobachtete wiederum ihn, in der Hoffnung, eingreifen zu können, wenn sein Spannergebaren entdeckt und geahndet werden würde. Seither kann ich die Menschen verstehen, die die Typen im Auge behalten, die Anglern zusehen.
    Nach einigen Monaten, als ich fast sicher war, dass es einen Schutzengel gab, der seinerseits über den sehenden Greg wachte, passierte etwas Furchtbares. Greg hatte etwas gesehen, worüber er nachdachte. Und dieses Etwas erblickt zu haben, war alles andere als schön. Nur bruchstückhaft vertraute er mir an, welches Grauen er gesehen hatte und ihn fortan nicht mehr losließ:
    »Ich glaube, es sind die Japaner. Vielleicht ist es bei denen einfach anders. Aber ich finde es widerlich.«
    Mehr wollte und konnte Greg nicht sagen. Ein Bild war unauslöschlich auf seiner Hirnfestplatte gelandet und ließ sich nicht mehr löschen. Tagelang versuchte ich herauszufinden, was die Japaner denn nun anders machten und so abstoßend sein könnte. Aber wenn ich Greg behutsam auf das Thema ansprach, schrie er entsetzt auf und hielt sich die Ohren zu. Und dabei fiel mir etwas auf.
    »Greg, was ist mit deiner Hand?«, fragte ich, als er dieselbe gerade wieder von dem linken Ohr entfernte.
    Unglücklich schaute Greg mich an: »Ich weiß nicht. Aber es ist fast so widerlich wie die Japanersache.«
    Obwohl ich immer noch nicht wusste, was die Japanersache war, konnte ich nun mit einiger Sicherheit sagen, dass sie ziemlich ekelhaft gewesen sein musste. Gregs

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