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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simonetta Greggio
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Café-Restaurants einen Spalt weit öffnete, war in einem Alter zwischen dreißig und fünfzig. Sie war weder hässlich noch hübsch, nur verbraucht. Das Lokal hatte sie gerade für die Nacht geschlossen, aber nachdem sie uns durch die Glastür gemustert hatte, machte sie auf und ließ uns eintreten.
    Wir waren tropfnass. Gio, der unter seiner Jeansjacke nur ein T-Shirt trug, klapperte mit den Zähnen. Ich stammelte ein paar erklärende Sätze. Die Frau hörte mir kaum zu. Sie blickte zu Gio und bot ihm an, seine Sachen zum Trocknen aufzuhängen und ihm solange etwas zum Anziehen zu geben. Danach drehte sie sich zu mir, schüttelte den Kopf und brummelte: »Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür.« Pfützen bildeten sich unter unseren Füßen. Sie ging weg und kam mit Handtüchern und zwei dicken Pullovern zurück, dann fragte sie, ob wir etwas essen wollten. Sie hatte noch Kalbsfrikassee übrig. Anschließend bemerkte sie: »In dem Alter sind Kinder auf Fotos verträglicher als in Wirklichkeit, und Ihr Sohn scheint mir da keine Ausnahme zu sein, Madame.« Als sie »Ihr Sohn« sagte, kratzte sich Gio am Kopf und schien sich auf einmal für die Zimmerdecke zu interessieren.
    Das Frikassee schmeckte himmlisch. Während wir es verschlangen, plauderte die Frau, die Françoise hieß, ein bisschen aus ihrem Leben und von Saint-Symphoriendes-Bois, dem Kuhdorf, wo wir gestrandet waren. Hier war sie die Einzige, die noch die Stellung hielt. Sie mochte dieses Fleckchen, sie war hier geboren; es tat ihr leid zu sehen, dass alle weggingen, dass nach der Bäckerei
auch die Schule geschlossen wurde, dass die Häuser entweder verfielen oder von Engländern aufgekauft wurden, die nur im Sommer herkamen. Den Ausdruck, den sie gebrauchte, hatte ich noch nie gehört: Sie bezeichnete das Dorf als »Gemeinde der kalten Betten«. Mir schauderte bei diesen Worten.
    Ihr zehnjähriger Sohn Sébastien schlief im Obergeschoss. »Sein Vater ist abgehauen. Einfach so. Dem weine ich keine Träne nach.« Letzten Endes war sie mit ihrem Leben ganz zufrieden, ihrem kleinen Sébastien fehlte es an nichts, und auf Männer konnte eine Frau ab einem gewissen Alter gut verzichten, »finden Sie nicht auch, Madame?«.
    Nachdem er das letzte bisschen Soße von seinem Teller getunkt und sich gnädig »einen ganz kleinen Nachschlag« hatte geben lassen, gähnte Gio und hielt sich die Hand vor den Mund. Ich war auch müde, wusste aber nicht recht, was wir tun sollten. Draußen donnerte es weiter, und die Sintflut schien nicht abzureißen. So oder so würde um diese Uhrzeit kein Pannenhelfer so weit rausfahren. Die Frau starrte uns an, erst mich, dann Gio. Aus Verlegenheit dachte ich daran, zum Auto zurückzukehren, wo wir uns auf die eine oder andere Weise hätten behelfen können. Im Kofferraum habe ich immer Planen vorrätig, und selbst wenn ich sie sonst für die Tiere verwende, hätten wir uns für eine Nacht damit arrangieren können. Dann gähnte Gio von Neuem, und die Frau lächelte.
    »Sie können oben in der Küche schlafen, wenn Sie wollen, aber es wird eng werden, ich habe nur eine
kleine Bettcouch für Notfälle wie jetzt. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, überlasse ich sie Ihnen gern.« Wieder sagte sie »Bei dem Wetter heut Nacht jagt man keinen Hund vor die Tür« und führte uns die schmale Treppe hinauf. Auf die tatsächlich winzige, vor allem sehr kurze Couch legte sie Laken, zwei Kissen und drei etwas steife Decken, die nach Mottenkugeln und welkem Lavendel rochen.
    Beim Hinausgehen löschte sie das Licht und ließ nur eine kleine Glühbirne unter der Dunstabzugshaube brennen.
    Gio schlief sofort ein, in Stofflagen gebettet wie in einem Nest, seine Füße ragten über den Rand hinaus. Die Stille wurde nur von knacksendem Holz und den Regentropfen unterbrochen, die auf das Dach prasselten. Ich rührte mich nicht, aus Angst, ihn zu stören. Als die düstere Küche mit ihrem Geruch nach Bratfett und Putzmittel von der Morgenröte erhellt wurde, stand ich auf, zog mir einen der geliehenen Pullis über und ging zum Fenster. In dem Raum war es kalt, eine scharfe Kälte, die bis in die Knochen drang. Der Himmel war zwar noch dunkel, aber die Wolken waren leicht rosa getönt, mit einem goldenen Schimmer. Rund um das Haus wogten die Bäume in der Morgenbrise, sie hörten sich an wie ein Regenschauer. Ich setzte mich auf einen Stuhl, legte die Arme auf den Fenstersims, bettete den Kopf darauf und betrachtete zwei braune Schmetterlinge, die,

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