Mit Nackten Haenden
zu kaufen, ähnlich wie Pralinendosen, in denen alles Nötige steckt, um sich ein angenehmes Ende zu bereiten. Das kostet nicht viel, und ein vertrauenswürdiger Arzt kann es leicht auftreiben.
Epikur sagte, wir sollen den Tod nicht fürchten, »denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der
Tod da ist, existieren wir nicht mehr«. Vom Leben Abschied zu nehmen, ohne sich dafür zu schämen, halte ich inzwischen für eine besonders verantwortungsvolle Entscheidung.
M eine liebe kleine Emma,
ich schreibe Dir in aller Eile, weil ich zu meiner Verblüffung in der Zeitung gelesen habe, dass Du in Schwierigkeiten steckst. Offenbar spielt man Dir übel mit, und das bedaure ich. Vielleicht ist es für Dich ein Trost zu wissen, dass ich, so wie ich Dich kenne, niemals glauben kann, dass Du etwas Verwerfliches getan hast. Und selbst wenn Du jemanden getötet hättest, würde ich annehmen, dass Du dafür gute Gründe hattest. Ich weiß, dass Dir die Banalität des Bösen fremd ist. Dein und mein Pessimismus - in diesen Zeiten übrigens ein Zeichen von gesundem Menschenverstand - erlaubt uns nicht, den Dingen einfach ihren schlechten Lauf zu lassen. Selbst wenn wir wissen, dass wir möglicherweise nichts ändern werden, dass es uns sogar zum Verhängnis werden kann, folgen wir unserem Gewissen. Du hast das Gewissen einer Frau, die nach dem Wahren und Guten strebt. Ich hingegen das Gewissen eines alten Anarchisten, der anderen gern eine Nase dreht.
Du weißt, wo ich bin. Komm mich besuchen, wenn Du magst, wenn es Dir in irgendeiner Weise hilft. Du solltest so oder so kommen, weil ich Dir gern jemanden vorstellen möchte.
Dein alter Freund
Thomas d’Aurevilly
D’Aurevillys Brief gehört zu den wenigen Dingen, die ich aus dem Desaster retten konnte. Teure Andenken habe ich heute so gut wie keine mehr, dafür bleiben mir die Erinnerungen, so klar und deutlich wie ein Film, der gerade abläuft.
Ich rieche wieder den Kreosotgeruch des Waldes, durch den wir einmal bei Nacht hindurchgefahren sind, sehe Gios Dauerlächeln, spüre das Glück, ihn bei mir zu haben - das gleiche leicht wehmütige Glück, das mein lieber alter d’Aurevilly empfunden haben dürfte, wenn wir zusammen waren.
An diesem Abend machten Gio und ich uns sehr spät noch auf den Weg, nachdem uns tausend kleine Dinge aufgehalten hatten. Ich hätte die Fahrt besser auf den nächsten Morgen verschieben sollen, aber der Bauer war vor Panik so außer sich, dass ich mich dagegen entschied. Auf halber Strecke fing es plötzlich an zu regnen, zunächst ein Nieseln, ein Sommerregen, dann auf einmal die Sintflut; in den Wäldern herrschte völlige Finsternis. Das Wasser klatschte in gewaltigen durchsichtigen Wellen gegen die Windschutzscheibe, im Auto breitete sich Dampf aus, und es kam Nebel auf. Weil ich nichts sehen
konnte, öffnete ich das Fenster und streckte beim Fahren den Kopf heraus. Den Blick fest auf die Straße geheftet, versuchte ich, einer verwischten weißen Linie zu folgen, die ab und an verschwand. Ich fuhr so langsam, dass ich den Motor abwürgte und Gio laut auflachte. Da ich ihn so gut kannte, wusste ich genau, was er gleich sagen würde. Was sich prompt bewahrheitete:
»Klasse, Emma. Der alte Pannentrick!«
Ich schwieg genervt. Wir legten noch etwa zehn Kilometer zurück, als ein roter Fellpfeil über die Straße schoss. Der Aufprall war nur ganz leicht gewesen, aber wir vernahmen ihn wie über einen Verstärker, ein feuchtes, obszönes Sauggeräusch. Wir sprangen beide gleichzeitig aus dem Auto, ließen die Türen auf und die Scheinwerfer an, um das Stück Straße vor uns zu beleuchten, doch obwohl wir alles absuchten, fanden wir keine Spur von Blut auf dem Asphalt und auch kein totes Tier unter den Reifen; ringsum wurde die Dunkelheit von Wassermassen durchspült. Dann glitt das Auto langsam, wie im Traum, über den Seitenstreifen. Es wäre zu gefährlich gewesen, wieder einzusteigen. Nach einer weiteren Rutschpartie, bei der wir ohnmächtig zusahen, blieb der Jeep an einem Ästehaufen hängen, mit drei Rädern im Graben. Gio verdrehte stumm die Augen. Ohne Hilfe konnten wir das Auto unmöglich herausholen. Es war auch unmöglich, irgendwo anzurufen, weil mein Handy keinen Empfang hatte. Ich verriegelte die Türen, dann liefen wir los, auf das einzige Licht zu, das in der Ferne zu sehen war; den Kragen hochgeschlagen, stolperten wir über abgebrochene und geknickte Zweige.
Die Frau, die die Tür des
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