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Mit offenen Karten

Mit offenen Karten

Titel: Mit offenen Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Unentschlossenheit. Sie senkte ein wenig den Kopf, als wollte sie sich ganz auf ein Problem konzentrieren.
    Gerade in diesem Augenblick erspähte sie Anne Meredith auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
    Anne stand da und starrte zu einem großen Mietsblock an der Ecke empor.
    Mrs Lorrimer zögerte einen Moment und überquerte dann die Straße.
    «Guten Tag, Miss Meredith.»
    Anne fuhr zusammen und wandte sich um.
    «Oh, guten Tag.»
    «Noch in London?», fragte Mrs Lorrimer.
    «Nein. Ich bin nur über den Tag hereingekommen. Ich hatte beim Anwalt zu tun.»
    Ihr Blick schweifte zu dem großen Mietsblock zurück.
    Mrs Lorrimer fragte:
    «Ist etwas geschehen?»
    Anne zuckte schuldbewusst zusammen.
    «Geschehen? O nein, was sollte geschehen sein?»
    «Sie sahen so aus, als hätten Sie etwas auf dem Herzen.»
    «Nein – vielmehr ja – aber es ist nichts Wichtiges, etwas ganz Dummes.» Sie lächelte ein wenig und fuhr fort:
    «Es ist nur, weil ich glaube, meine Freundin hier hineingehen gesehen zu haben, und ich fragte mich, ob sie zu Mrs Oliver gegangen ist.»
    «Wohnt Mrs Oliver hier? Das wusste ich nicht.»
    «Ja, sie besuchte uns neulich, gab uns ihre Adresse und forderte uns auf, sie zu besuchen. Ich frage mich nun, ob es Rhoda war, die ich gesehen habe oder nicht.»
    «Wollen Sie hinaufgehen und nachschauen?»
    «Nein, lieber nicht.»
    «Kommen Sie und trinken Sie einen Tee mit mir. Hier ganz in der Nähe ist ein Tearoom, den ich gut kenne.»
    «Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen», sagte Anne unschlüssig.
    Sie gingen nebeneinander die Straße entlang und bogen in eine Seitengasse ein. In einer kleinen Konditorei servierte man ihnen Tee und englischen Kuchen.
    Sie sprachen nicht viel. Jede schien das Schweigen der anderen als wohltuend zu empfinden.
    Plötzlich fragte Anne:
    «Hat Mrs Oliver Sie aufgesucht?»
    «Nein. Es war niemand bei mir außer Monsieur Poirot.»
    «Das habe ich nicht gemeint, ich wollte nicht…», begann Anne.
    «Nicht? Ich dachte, doch», meinte Mrs Lorrimer.
    Das junge Mädchen warf ihr einen schnellen, erschrockenen Blick zu.
    Aber etwas in Mrs Lorrimers Gesicht schien sie zu beruhigen. «Bei mir war er nicht», sagte sie langsam.
    Es entstand eine Pause.
    «War Superintendent Battle bei Ihnen?», fragte Anne.
    «O ja, natürlich», sagte Mrs Lorrimer.
    «Was hat er Sie gefragt?»
    Mrs Lorrimer seufzte müde.
    «Das Übliche, vermutlich. Nach dem Amtsschimmel. Er war sehr nett in der ganzen Angelegenheit.»
    «Ich vermute, er hat jeden von uns ausgefragt.»
    «Ich denke.»
    Es entstand wieder eine Pause.
    «Mrs Lorrimer, glauben Sie – wird man je herausbekommen, wer es getan hat?»
    Sie blickte auf ihren Teller. Sie konnte den sonderbaren Ausdruck in den Augen der älteren Frau nicht sehen, als diese auf den gebeugten Kopf herabblickte.
    Mrs Lorrimer erwiderte ruhig:
    «Ich weiß nicht…»
    Anne murmelte:
    «Es ist nicht – sehr schön, nicht wahr?»
    Auf Mrs Lorrimers Zügen lag der gleiche, sonderbare, abschätzige und doch mitleidige Ausdruck, als sie fragte:
    «Wie alt sind Sie, Anne Meredith?»
    «Ich – ich?» Das junge Mädchen stammelte: «Ich bin fünfundzwanzig.»
    «Und ich dreiundsechzig», sagte Mrs Lorrimer.
    Sie fuhr langsam fort:
    «Fast Ihr ganzes Leben liegt noch vor Ihnen…»
    Anne fröstelte.
    «Ich kann auf dem Heimweg von einem Autobus überfahren werden», gab sie zu bedenken.
    «Gewiss. Und ich – nicht?»
    Sie sagte das in einem eigentümlichen Ton. Anne sah sie erstaunt an.
    «Das Leben ist nicht leicht», erklärte Mrs Lorrimer. «In meinem Alter werden Sie das wissen. Es braucht unendlichen Mut und viel Ausdauer, und am Ende fragt man sich, ob es der Mühe wert war.»
    «Oh, bitte nicht», wehrte Anne ab.
    Mrs Lorrimer lachte. Sie hatte ihre gewohnte Selbstsicherheit wieder zurückgewonnen. «Es ist zu billig, melancholische Dinge über das Leben zu sagen», meinte sie.
    Sie rief die Kellnerin und beglich die Rechnung. Als sie aus dem Laden traten, schlich ein Taxi vorbei, und Mrs Lorrimer hielt es an.
    «Kann ich Sie irgendwo absetzen, ich fahre in die Richtung südlich vom Park?»
    Annes Miene hatte sich aufgehellt.
    «Nein, danke sehr. Ich sehe gerade meine Freundin um die Ecke biegen. Danke vielmals, Mrs Lorrimer. Adieu.»
    «Adieu. Viel Glück», sagte die ältere Frau.
    Sie fuhr weg, und Anne eilte auf Rhoda zu.
    Rhodas Gesicht strahlte, als sie ihre Freundin sah, aber dann wurde ihre Miene ein wenig schuldbewusst.
    «Rhoda, warst du bei Mrs

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