Mit offenen Karten
Oliver?», fragte Anne.
«Ja, ich habe sie besucht.»
«Und ich habe dich gerade ertappt?»
«Ich weiß nicht, was du mit ertappt meinst! Gehen wir hier hinunter und nehmen wir einen Autobus! Du bist auf eigene Faust mit deinem Verehrer losgezogen. Ich hatte gedacht, er würde dich mindestens zum Tee einladen.»
Anne schwieg einen Augenblick. Eine Stimme klang ihr im Ohr: «Können wir nicht Ihre Freundin treffen und alle zusammen Tee trinken?» Und ihre hastige, unüberlegte Antwort: «Tausend Dank, aber wir sind mit Bekannten zum Tee verabredet.» Eine Lüge – und eine dumme Lüge dazu. So wie man die erste Dummheit sagt, die einem durch den Kopf geht, anstatt sich eine Minute Zeit zu lassen, um zu überlegen. Wie leicht wäre es gewesen zu sagen: «Vielen Dank, aber meine Freundin ist zum Tee eingeladen.» Das heißt, wenn man wie in diesem Fall Rhoda nicht dabeihaben wollte. Sonderbar, wie sie Rhoda hatte fernhalten wollen. Sie hatte klar und deutlich Major Despard für sich allein haben wollen. Sie war eifersüchtig gewesen. Eifersüchtig auf Rhoda. Rhoda war so heiter, so gesprächig, so voll Leben und Enthusiasmus. Neulich am Abend hatte Major Despard sie so wohlgefällig angesehen. Aber er war gekommen, um sie, Anne Meredith, zu sehen. Rhoda war eben so. Sie wollte es nicht, aber sie drängte einen in den Hintergrund. Nein, sie hatte Rhoda unbedingt nicht dabeihaben wollen.
Aber sie war dumm gewesen, so die Fassung zu verlieren. Wäre sie klüger gewesen, säße sie jetzt gemütlich mit Major Despard in seinem Club oder sonst wo beim Tee. Sie ärgerte sich ernstlich über Rhoda; Rhoda war eine Last. Und wozu war sie zu Mrs Oliver gegangen?
Laut sagte sie. «Warum bist du zu Mrs Oliver gegangen?»
«Sie hat uns doch aufgefordert.»
«Ja, aber ich glaube nicht, dass sie es ernst gemeint hat. Ich glaube, sie fühlt sich immer verpflichtet, es zu sagen.»
«Doch, sie hat es ernst gemeint. Sie war reizend – sie hätte nicht netter sein können. Sie hat mir eines ihrer Bücher geschenkt. Schau!»
Rhoda schwenkte ihre Beute.
Anne fragte misstrauisch:
«Worüber habt ihr gesprochen? Doch nicht über mich?»
«Hört, hört, wie eingebildet die junge Dame ist!»
«Nein, aber im Ernst, habt ihr von mir gesprochen? Habt ihr über den – den Mord gesprochen?»
«Wir haben über ihre Morde gesprochen. Sie beschreibt jetzt einen, wo in der Zwiebel- und Kastanienfüllung der Martinigans Gift ist. Sie war riesig menschlich – und sagte, dass Schreiben eine schrecklich harte Arbeit sei und wie sich ihre Handlungen immer verwickeln, wir haben schwarzen Kaffee getrunken und heiße Toasts mit Butter dazu gegessen», schloss sie triumphierend.
Dann fügte sie hinzu:
«Oh, Anne, du hast noch keinen Tee gehabt!»
«Oh, doch, ich habe mit Mrs Lorrimer Tee getrunken.»
«Mrs Lorrimer? Ist das nicht die – die dabei war?»
Anne nickte.
«Wo bist du ihr begegnet? Hast du sie aufgesucht?»
«Nein, ich bin ihr zufällig in der Harley Street begegnet.»
«Wie war sie?»
Anne überlegte.
«Ich weiß nicht recht – sie war so eigentümlich. Ganz anders als an jenem Abend.»
«Glaubst du, dass sie es getan hat?»
Anne schwieg eine kleine Weile, dann sagte sie:
«Ich weiß nicht. Sprechen wir nicht davon, Rhoda! Du weißt, wie ich es hasse, über diese Dinge zu reden.»
«Gut. Wie war der Anwalt? Sehr trocken und formell?»
«Nein, sympathisch und schnell von Begriff.»
«Das klingt Vertrauen erweckend.» Sie wartete ein wenig und fragte dann:
«Wie war Major Despard?»
«Sehr nett.»
«Er hat sich bestimmt in dich verliebt, Anne.»
«Rhoda, rede keinen Unsinn!»
«Nun, wir werden ja sehen.»
Rhoda begann leise vor sich hin zu summen. Sie dachte: «Natürlich hat er sich in Anne verliebt. Anne ist wunderhübsch. Aber ein wenig farblos… Sie wird nie mit ihm in die Wildnis gehen. Sie würde bei jeder Schlange kreischen… Männer verlieben sich immer in die falschen Frauen.»
19
D as Telefon in Poirots Zimmer klingelte, und eine respektvolle Stimme sagte.
«Hier Sergeant O’Connor. Superintendent Battle lässt sich empfehlen und anfragen, ob es Monsieur Hercule Poirot gelegen wäre, um elf Uhr dreißig zu Scotland Yard zu kommen?»
Poirot bejahte, und Sergeant O’Connor legte auf. Es war Punkt elf Uhr dreißig, als Poirot vor der Eingangstür von New Scotland Yard einem Taxi entstieg – um sofort von Mrs Oliver angegangen zu werden.
«Monsieur Poirot. Wie wunderbar! Wollen Sie mir zu
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