Mit Pflanzen verbunden
auf der Tasche zu liegen kam uns gar nicht in den Sinn. Für unsere täglichen Mahlzeiten sammelten wir essbare Wildpflanzen: Kressearten, Seidenpflanzenschoten (von Asclepias syriaca ), Wegeriche, Taglilien (Hemerocallis) , Malven, Portulak (Portulaca sativa) und viele andere, von denen es im Mittelwesten im Sommer eine reichliche Auswahl gibt. Auf den Feldern gab es außerdem milchreifen Mais. Wir kochten Wildkräuteraufläufe, -suppen und -gemüse, dazu gab es Salate und Nachtisch aus frischen Maulbeeren, Fußblattfrüchten (Podophyllum peltatum) , die wie reife Erdbeeren schmecken, Papaus (Asimina triloba) , Brombeeren und dergleichen. Sie kosteten nichts außer der Zeit, die man sich nehmen musste, um sie zu sammeln. Und Zeit hatten wir. Der Abfallcontainer hinter dem lokalen Supermarkt war voller Gemüse und Salate, die sich nicht verkauft hatten, altem Brot, und für den Hund gab es da, fein in Zellophan verpackt, pfundweise Hackfleisch, Steaks oder Würste, deren Verfallsdatum überschritten war. Die arme Mutter wusste nicht, was sie von unserer unkonventionellen Kochkunst halten sollte, und der Supermarktangestellte, der uns zufällig beim Ausplündern des Containers entdeckte, war offensichtlich schockiert. So was würden doch nur Schwarze machen.
Was die Ernährung betraf, ging es uns also recht gut. Auch geistig ging es uns gut. Mit Ritualen, die wir in Indien gelernt hatten, stimmten wir uns auf die Natur ein. Jeden Tag zündeten wir am Fuß einer uralten Eiche Räucherstäbchen an und begrüßten die Sonne und alle Geschöpfe mit Gesang und Andacht. Oft kreiste ein großer Raubvogel überm Baum, als wüsste er um unser Tun. Als einmal eine Copperhead- Schlange 1 an uns vorbeischoss und ihre Haube wie eine Kobra ausbreitete, sahen wir das als kraftvolles Zeichen an. Ein Gruß von Mahadeva-Shiva! Ja, es ging uns gut; wir waren im Einklang mit dem Universum und mit göttlicher Energie gefüllt. Nur eben was das gesellschaftliche Umfeld betraf, da gab es Spannungen – Spannung mit der Familie wie auch mit der Nachbarschaft.
Eine Nachbarin, eine Lehrerin, lud uns ein, einen Vortrag in der Schule zu halten, nachdem sie erfahren hatte, dass wir gerade aus Indien zurückgekommen waren. Voller Begeisterung schilderten wir eine faszinierende alte Kultur und ihre geistigen Schätze, sprachen von heiligen Kühen, Tempeln, Wanderheiligen und ayurvedischer Heilkunst. Was die Zuhörer jedoch erwartet hatten, war ein Bericht über ein überbevölkertes, bedürftiges Drittweltland, voller Armut, Aberglauben und Krankheit, und zuletzt die Schlussfolgerung, dass es im fortschrittlichen Amerika, in God’s own Country , viel besser sei als irgendwo anders auf der Welt. Nur: diese patriotische Schlussfolgerung kam nicht, und so hörte das freundliche Smiling uns gegenüber plötzlich auf. Eigentlich hätten wir meinen Eltern zuliebe vorsichtiger sein sollen. Wie wir uns verhielten, fiel schließlich auf sie zurück. Immerhin hatten sie hier ein Haus gebaut und mussten in dieser äußerst patriotischen und eng konventionellen Kleinstadt leben.
Auch unsere Fahrradausflüge, zwecks Wildpflanzensammeln oder einfach nur zum Spaß, wurden zum Stein des Anstoßes, ebenso wie die Tatsache, dass man uns nackt im Fluss baden gesehen hatte. Letzteres galt als unanständig – ein aufgebrachter Farmer hätte uns fast erschossen. Und was das Radfahren betraff: Im ländlichen Ohio radelten nur Kinder oder entmündigte Behinderte, niemals aber Erwachsene – die fuhren Auto, nicht aber auf Kinderspielzeugen. Die örtliche Polizei, der das verdächtig vorkam, folgte uns gelegentlich, langsam fahrend, mit dem Streifenwagen. Einmal hielten sie an und fragten, warum ich da durch die Gegend fuhr, beantworteten aber ihre Frage selbst: „Du trainierst wohl deinen Hund für Hundewettrennen?“
„Stimmt genau“, antwortete ich, wissend, dass jede andere Erklärung nicht verstanden worden wäre.
Flucht aus dem Krankenhaus
Die Spannungen im Verhältnis zur Bevölkerung der kleinen Ortschaft und innerhalb der Familie nahmen also von Tag zu Tag zu. Wir spürten, dass sich die negative Energie wie ein kollektiver Abwehrzauber auf uns konzentrierte. Von wegen, Voodoo-Zauber ist ein afrikanisches Phänomen längst vergangener, dunkler, abergläubischer Zeitalter! Er wirkt, er trifft sein Ziel, und zwar gerade dann, wenn die Zielperson, die persona non grata, für einen Bruchteil eines Augenblicks nicht ganz geistesgegenwärtig ist. Dann passiert
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