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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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es, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und so war es: Mit dem Fahrradsturz entlud sich die Negativenergie, die geballte Spannung.
    Jemand rief die Notfallambulanz. In der Notfallklinik wurde ich sechsmal geröntgt. Die sechsmalige Durchleuchtung kam mir übertrieben vor. Dann erschien ein Arzt, die Röntgenbilder in der Hand, und zeigte mit fleischigem Finger auf die multiplen Frakturen der Clavicula . Das Schlüsselbein müsse unbedingt operiert und ein Metallstab eingesetzt werden, denn sonst werde die Schulter zeitlebens krumm bleiben. „Wenn wir das nicht machen“, fügte er hinzu, „dann können Sie nie wieder einen Rucksack tragen, und ein Naturbursche wie Sie geht doch gern in den Bergen wandern, nicht wahr?“
    Zögernd fragte ich ihn, was das Ganze kosten würde, denn seit ich mich von der Universität verabschiedet hatte, hatten wir keine Unfallversicherung mehr. Mit rund 2000 Dollar lasse sich das bewerkstelligen, antwortete er.
    Er ließ ein Elektrokardiogramm erstellen, Blutgruppe, Blutdruck und weitere Biodaten ermitteln, dann ordnete er die Krankenschwester an, mir einen Notverband anzulegen, drückte mir starke Schmerzpillen in die Hand und bestellte mich für den nächsten Morgen um halb sieben ins Krankenhaus.
    Der Schmerz hielt mich die ganze Nacht wach. Die Schmerztabletten habe ich dennoch nicht eingenommen. Wenn es geht, sollte man Schmerz nicht unterdrücken, und schon gar nicht bei Knochenbrüchen. Der Schmerz ist ein wichtiges Körpersignal, er ist der Anfang des Heilprozesses; er verhindert die unnötige Bewegung der ruhebedürftigen verletzten Gewebe.
    Es war noch dunkel, als wir uns um halb sechs auf den Weg machten. Der Vater fuhr, Ganga und der Hund kamen auch mit. Da unser vierbeiniger Gefährte wegen möglicher Verschmutzung des Teppichs nicht im Haus geduldet wurde, hätten wir ihn die ganze Zeit an der Kette angebunden lassen müssen. Das wollten wir aber nicht.
    Kein Wort wurde während der Fahrt gesprochen. Auf halbem Weg schaute der Vater auf die Armbanduhr und schaltete das Autoradio an. „Sechs Uhr“, sagte er kurz, „Nachrichten!“
    „ ... Präsident Reagan veranlasste den US-Kongress, einen Ausschuss zur Untersuchung unethischer medizinischer Praktiken einzuberufen, wie zum Beispiel unnötige Operationen ...“, tönte es aus dem Lautsprecher. Insgesamt drei Mal erwähnte der Nachrichtensprecher die Phrase unnötige Operationen. Drei Mal! Die magische Drei. Wenn ich abergläubisch wäre, dachte ich, dann würde ich diese zufällig gehörte Aussage auf mich beziehen. Aber das Schlüsselbein war tatsächlich zersplittert und der Arzt, der es ja wissen musste, hatte gesagt, eine Operation sei unabdingbar. Ganga schaute mich an, auch sie hatte es gehört.
    „Ruft an, wenn es vorüber ist“, sagte der Vater, als wir vor dem Krankenhaus ausstiegen, „dann hole ich euch wieder ab.“ Das würde voraussichtlich in drei oder vier Stunden sein.
    Wir banden den Hund nahe dem Eingang an. Dann wurden wir in ein steril weißes Zimmer geführt, wo mir, nachdem ich mich ausgezogen hatte, ein Leibchen angelegt und ein Band am Handgelenk befestigt wurde, auf dem Blutgruppe und weitere unverwechselbare Daten aufgezählt waren. Das war notwendig, damit es zu keiner Verwechselung käme. Es soll ja gelegentlich passieren, dass man einem Patienten das falsche Organ operiert. Das dünne Leibchen war so kurz, dass es kaum Gesäß oder „Gemächt“ verdeckte. Und ich merkte, dass die Schwestern es nicht lassen konnten, hinzuschielen, wie es da bei mir zwischen den Beinen bestellt war.
    Ich sollte mich schon auf die Rollbahre setzen, auf der man mich ins Operationszimmer befördern würde. Ganga nahm mir gegenüber auf einem Stuhl Platz. Sie durfte noch so lange bei mir sitzen, bis es so weit war.
    „Glaubst du wirklich, dass das nötig ist?“, fragte sie mich zögernd.
    „Leider ja“, antwortete ich. „Der Arzt hat es doch gesagt.“
    „Aber“, fuhr sie fort, „was hat man denn früher gemacht, als es noch keine solchen Operationen gab?“
    „Nun, da hatte man eben eine verkrüppelte Schulter.“
    „Aber es gibt doch auch Möglichkeiten, die Schulter so zu verbinden, dass sie sich nicht bewegen und in Ruhe heilen kann. – Außerdem“, fügte sie nach einer Weile hinzu, „würde ich dich trotzdem lieb haben, auch wenn du eine krumme Schulter hättest. Vielleicht ist es eine unnötige Operation. Vielleicht solltest du den Arzt noch einmal fragen, ob man den Bruch nicht anders

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