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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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blutete. Es war, als ob das eben Vorgefallene auf einer anderen Ebene weiter ausgetragen würde. Es war, als hätte der Zorn des Chirurgen oder der Anästhesistin in dem angreifenden Köter sichtbare Gestalt angenommen. Für die Schamanen der Naturvölker wäre das kein Zufall gewesen.
    Wir riefen den Vater an, er könne uns nun abholen. „Die Operation hat ja nicht lange gedauert“, sagte er erstaunt.
Freund der Hippies und Gärtner
    Mit dieser Episode war das Problem noch nicht gelöst. Noch immer war der Knochen zersplittert und tat sehr weh. Meine Schwester erkundigte sich bei einem befreundeten Arzt, wie man sachgemäß einen Rucksackverband anlegte, so dass die Schulter sich nicht bewegen konnte. Und nun galt es die richtigen Heilkräuter zu finden, und zwar den Beinwell, auch Wallwurz genannt. „Bein“ ist ein altes Wort für Knochen, und „Well“ oder „Wall“ beziehungsweise „wallen“ ist ebenfalls ein altes Wort für Heilen oder Zusammenwachsen. In einigen Mundarten heißt er auch Beinbrechwurz, im Französischen ist er die racine de consoude (die „Wurzel des Zusammenwachsens“) und im modernen Englisch ist er als comfrey bekannt – das ist eine Verballhornung des lateinischen consolida, „festmachen“; Hildegard von Bingen nannte die gepriesene Heilpflanze ebenfalls consolida . Schon seit vorchristlichen Zeiten wurde die äußerst schleimhaltige, saftige weiße Wurzel mit schwarzer Schale bei Knochenbrüchen, Prellungen, Knochenhautentzündungen und inneren Verletzungen mit Erfolg verwendet. Ihr wissenschaftlicher Name ist Symphytum officinale. Symphytum heißt übersetzt „zusammenwachsen“ und officinale deutet darauf hin, dass die Wurzel in der officina, dem Arbeitslabor der mittelalterlichen Apotheker, vorrätig gehalten wurde. Die mittelalterlichen Gelehrten stellten das Raublattgewächs unter die Herrschaft des Saturns. Dieser Planetengott, der oft als Knochenmann, als Skelett mit Stundenglas, dargestellt wurde, zieht seine Bahn tief im Himmel, am äußersten Rand der sichtbaren Planetensphären. Im menschlichen Mikrokosmos wirkt Saturn ebenfalls bis in die tiefsten Tiefen hinein, bis in die Knochen.
    Für die Hippies in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren war die Pflanze, unter dem Namen Comfrey , nichts Fremdes. Ein Schotte namens Lawrence Hill hatte sie bekannt gemacht, er war sozusagen der Prophet des Beinwells. Voller Enthusiasmus predigte er die frohe Botschaft der Pflanze: Sie sei nicht nur praktisch ein Allheilmittel, man könne die mineral- und vitaminreichen jungen Blätter auch als Viehfutter verwenden. Für die Menschen sei es auch ein wohlschmeckendes, gesundes Gemüse. Gärtner könnten die üppigen Blätter der äußerst vitalen Pflanze mehrmals im Jahr ernten, sie in Regenfässern und Bottichen mit Regenwasser verjauchen und damit Gemüse und Obstbäume düngen. Diese Jauche stärke die Abwehrkräfte der damit gedüngten Pflanzen dermaßen, dass man auf andere Schädlingsvertilger verzichten könne. Die abgeerntete Comfrey-Staude treibe immer wieder neu aus.
    Biogärtner jeglicher Couleur ließen sich von der Comfrey-Begeisterung anstecken. Alternative Landkommunen bauten die Pflanze massenweise an, verfütterten ihre Blätter an die Ziegen und kochten sie als Spinat – und wie beim echten Spinat weigerten sich die meisten Kinder, das angeblich so gesunde Grünzeug zu essen. Zoodirektoren ließen das rauhaarige Kraut an Elefanten, Büffel und andere Zootiere verfüttern. Die Nonnen der Abtei Fulda sahen es als ihre Mission an, die Kunde vom Gottesgeschenk an die Gärtner schriftlich zu verbreiten (Abtei Fulda 1972).
    Anfang der siebziger Jahre arbeitete ich mit dem Gärtnermeister Manfred Stauffer auf einem biologisch-dynamischen Hof in der Nähe von Genf. Auch er ließ sich von der Manie mitreißen. Nicht wissend, dass es sich bei der magischen Pflanze mit dem exotischen Namen Comfrey um den bekannten Beinwell handelte, bestellte er die Wurzeln direkt aus England. Der Gärtnermeister war gerade mit seiner Citroën-Ente in den Urlaub nach Spanien gefahren, um die Gärten in Andalusien zu betrachten – was tut auch sonst ein Gärtner in seinem Urlaub? – , als das Päckchen mit den schwarzen Wurzeln aus England eintraf. Ich packte sie aus, und da ich nicht wusste, was ich sonst mit ihnen machen sollte, schlug ich sie in einem leeren Beet in den Erdboden ein. Wenn er aus dem Urlaub zurück wäre, sollte der Meister selbst bestimmen, wo er sie

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