Mit Pflanzen verbunden
anpflanzen wollte. Eine Woche später war er wieder daheim. Durchgerüttelt und -geschüttelt von der tausend Kilometer langen Nonstop-Fahrt, sprang er aus der Ente und, noch ganz vom Motorendämon besessen, fing sofort an, mit der Motorfräse die brachliegenden Beete zu bearbeiten. Dabei fuhr er schnurstracks über die eingeschlagenen Comfrey-Wurzeln und zerhackte sie in tausend Stücke. Ich konnte ihn nicht aufhalten, er war unzugänglich. Am Abend fragte er: „Wolf, sind die Comfrey-Wurzeln angekommen?“
„Ja, ich hatte sie in die Erde eingeschlagen, dort wo du vorhin gefräst hast.“
„Warum hast du mir das nicht gesagt?“, rief er verärgert. „Nun müssen wir sie erneut bestellen!“
Aber so weit kam es nicht. Innerhalb von einer Woche sprossen aus dem Beet tausende kleine grüne Spitzen hervor. Jedes Wurzelstückchen, auch das kleinste, schlug aus. Nun hatten wir mehr als genug Comfrey! Auf diese Weise lernte ich zum ersten Mal die unglaubliche Vitalität dieser Pflanze kennen. Die ganze Pflanze und vor allem die schleimhaltige Wurzel strotzt nur so vor lauter Lebenskraft oder – wie die biologisch-dynamischen Bauern sagen würden – vor ätherischer Energie. Inzwischen glaube ich, dass die zerriebenen Wurzeln (als Umschlag) weniger wegen ihrer Wirkstoffe – Gerbstoffe, Schleimstoffe, Alantoin – zerbrochene Knochen oder tief liegendes Gewebe heilen, sondern vor allem durch die Abstrahlung ihrer überschüssigen ätherischen Energie. So ähnlich wie bei Kartoffelpackungen, Umschlägen aus rohen Zwiebeln oder Kohlwickeln – auch diese Pflanzen sind ein Reservoir purer Lebenskraft. Ähnlich wirkt die Frischzellentherapie.
Ein Umschlag aus den geraspelten, vor Leben strotzenden Beinwellwurzeln hilft (um es mit den Worten Rudolf Steiners zu sagen) dem Ätherleib – dem „Energieleib“, der das Muster oder den Organisationsplan des Körpers enthält –, die archetypische Form des jeweiligen verletzten Körperteils wiederherzustellen. Dass illustriert auch eine Geschichte, die mir einst ein Bergbauer erzählte, der einen Hof oberhalb des Vierwaldstätter Sees bewirtschaftete. Beim Heuen hielt er die Deichsel des Wagens und winkte dem Zugmaschinenfahrer zu, rückwärts zu fahren. Dabei geriet die Hand zwischen Deichsel und Kuppel und wurde zerquetscht. „Die rechte Hand war nur noch Matsch“, erzählte er. Der Fahrer des Traktors wollte sofort den Rettungshubschrauber rufen. Er aber sagte: „Nein, ruf meine Frau. Sie soll mir zerriebene Beinwellwurzeln bringen, damit ich meine Hand darin einpacken kann.“ So geschah es auch. Nach drei Tagen, fuhr er fort, habe die Hand schon wieder ihre richtige Form angenommen und nach sechs Wochen habe er sie wieder frei bewegen können.
Es war also klar: Für meine Schulter war Beinwell angezeigt. Noch am selben Tag, kurz nachdem wir das Krankenhaus verlassen hatten, fuhren wir los, mit Ganga am Steuer, um die Beinwellwurzeln zu beschaffen. Wir fuhren auf den staubigen ländlichen Schotterstraßen kreuz und quer durch das nördliche Ohio. In den frühen siebziger Jahren wäre es leicht gewesen, die Heilpflanze zu finden, denn jeder echte Hippie, Country-Freak oder Aussteiger hatte die Pflanze bei sich wachsen lassen. Nun aber, in den achtziger Jahren, hatte Ronald Reagan die alte Ordnung restauriert, Hippies und Landkommunen waren „out“, Yuppies waren „in“ und der Flower-Power-Traum war ausgeträumt. Comfrey war ebenso aus den Gärten verschwunden wie die Marihuana-Stauden. Aber irgendwo musste er doch noch aufzutreiben sein.
Wir hatten fast schon die Hoffnung aufgegeben, als wir einen großen ungepflegten Garten mit einer riesigen Fläche verwilderter Beinwellstauden sahen. Mitten auf dem Grundstück stand ein heruntergekommenes Haus, eher eine Bretterbude, von der die Farbe abblätterte. Wir klopften an. Ein hagerer langhaariger Typ mit geröteten Augen, die aussahen, als hätte er nächtelang nicht mehr geschlafen, öffnete die mit Fliegengitter bespannte Tür und sagte freundlich grinsend: „Hey, man , wie geht’s? Kommt rein.“
„Nein, danke“, sagte ich, „ich wollte nur fragen, ob wir einige von den Comfrey-Wurzeln ausgraben dürfen?“
„Klar, man, das verdammte Scheißunkraut! Nimm so viel, wie du willst! Bist du sicher, dass ihr nicht reinkommen und etwas rauchen wollt? Hab ’n gutes Kraut auf Vorrat.“
Wir schlugen das freundliche Angebot ab und gruben mehrere Pappkartons voll Wurzeln aus.
Beinwell, der Knochenheiler
Das
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