Mit Schimpf und Schande
Anweisungen. Anscheinend hörte sie ihn nicht einmal, als er sie ansprach und versuchte, ihr sein Beileid zu bekunden. Sie redete einfach in dieser schrecklichen Untotenstimme weiter; Clinkscales hatte Henke einen gepeinigten Blick zugeworfen und zustimmend den Kopf geneigt. Fünfzehn Minuten später saß Honor in Henkes Pinasse, und sie waren auf dem Weg zur Agni . Kein Wort hatte Honor an Henke gerichtet – nicht einmal den Kopf gewandt, wenn Henke sie ansprach. Genausogut hätte sie sich auf einem anderen Planeten und nicht im Sitz auf der anderen Seite des Mittelgangs befinden können. Nimitz an die Brust gepreßt, hatte sie einfach dagesessen und mit trockenen Augen blicklos nach vorn gestarrt.
Zwei Tage waren seitdem vergangen. Der Aufbruch der Agni hatte sich verzögert, weil sie Reaktorbrennstoff nachtanken mußte, und Lord Clinkscales und Protector Benjamin hatten darauf bestanden, daß sie weitere sechs Stunden in der Umlaufbahn verblieb, während denen sie ein Gefolge für Honor an Bord schafften. Der Protector hatte darüber nicht viele Worte verloren, aber sein Tonfall transportierte eine Botschaft, die zu ignorieren Henke niemals gewagt hätte: Honor Harrington würde auf keine andere Weise ins Sternenkönigreich zurückkehren als derart, daß die Unterstützung Graysons für sie unmißverständlich zum Ausdruck kam.
Honor hatte nichts von alledem registriert. Ein schweigendes Schemen ihrer Selbst mit einem Gesicht von der Farbe einer Wand und gepeinigten Augen, hatte sie sich in das Schlafzimmer der ihr zugewiesenen Kajüte zurückgezogen, und Henke fürchtete um ihre Freundin. Wenn selbst Nimitz sie nicht erreichen konnte, dann vermochte wohl nichts zu ihr durchzudringen. Mike Henke war vermutlich der einzige Mensch im ganzen Universum, der wußte, wie einsam Honor wirklich gewesen war, wieviel Mut es ihr abverlangt hatte, ihr Herz zu öffnen und Paul einzulassen, und wie sehr sie ihn dann geliebt hatte. Nun war Paul tot, und … Die Luke des Schlafzimmers öffnete sich und unterbrach Henkes düstere Gedanken mittendrin. Sie riß den Kopf herum.
Honor trug Uniform, nicht das graysonitische Kleid, in dem sie an Bord gekommen war, und Nimitz ritt auf ihrer Schulter. Ihr Äußeres war makellos, aber nicht einmal das flauschige Fell des Baumkaters konnte verbergen, wie ausgezehrt er war, und Honor sah noch schlimmer aus. Ihr hohlwangiges Gesicht mit den blutleeren Lippen darin war verhärmt und besaß die Farbe von Asche. Sie trug kein Make-up, und die starken Wangenknochen standen ohne jede Eleganz hervor, die Haut spannte sich über sie wie über verwitterte Gebirgsspitzen. »Honor?« Henke erhob sich so langsam, als fürchtete sie, ein verwundetes wildes Tier so zu erschrecken, daß es die Flucht ergriff, und ihre leise Stimme offenbarte die Trauer, den sie selbst empfand.
»Mike.« Auf Honors Gesicht zeigte sich noch immer keine Regung, und ihre Augen waren schlimmer als die einer Toten. Sie waren hart wie brauner Stein, kalt, gefroren, wie in Schmerz abgeschreckter Schmiedestahl, aber wenigstens fand sich in ihnen wieder Erkennen der Umgebung. Erkennen – und noch etwas; etwas Furchterregendes. Die Augen richteten sich auf MacGuiness. »Mac.«
Henke spürte, daß ihr selbst die Tränen in die Augen traten. Diese unbetonte, gefühlsleere Stimme hätte einem Computer gehören können. Kein Leben war darin zu spüren, und kein Gefühl außer einem Schmerz, der tiefer ging, als selbst Henke sich vorstellen konnte.
Außer diesen beiden Namen sagte Honor nichts. In langsamem, wohlbemessenem Schritt ging sie wortlos zur Kabinenluke und trat hindurch. Die beiden Posten nahmen zackig Habt-acht-Stellung ein, aber Honor schien sie überhaupt nicht zu sehen.
MacGuiness warf Henke einen flehenden Blick zu. Sie nickte und eilte dann Honor hinterher. Sie fürchtete sich, noch ein Wort zu ihr zu sagen, sie ging einfach neben der Freundin her. Nimitz saß zusammengekauert und regungslos auf Honors Schulter. Sein Schwanz hing ihr leblos den Rücken hinunter wie ein vergessenes Banner.
Im Lift gab Honor einen Zielort ein, und als Henke ihn erkannte, riß sie zuerst die Augen auf und verengte sie sodann zu Schlitzen. Sie setzte an, etwas zu sagen, sparte sich dann jedoch die Worte und verschränkte wartend die Arme hinter dem Rücken.
Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern. Endlich blieb die Liftkabine stehen, und die Tür glitt zur Seite. Honor verließ den Lift und stand in der Waffenkammer des Leichten
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