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Mit Schimpf und Schande

Mit Schimpf und Schande

Titel: Mit Schimpf und Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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Umständen überhaupt erlaubt hätte; doch im Moment wußte sie vermutlich noch nicht einmal, daß sich ein graysonitisches Kontingent mit an Bord befand.
    Henke trat vor die Posten, die in perfekter Gleichförmigkeit Haltung annahmen.
    »Rührt Euch«, sagte sie, und trotz ihrer Depression versuchte ihr Mund ein Lächeln, als der Marineinfanterist in Rührt-Euch-Stellung ging und der Waffenträger, um nicht zurückzustehen, das graysonitische Äquivalent einnahm. Aber das zarte Lächeln verschwand noch schneller als es gekommen war. Henke wandte sich an den Marineinfanteristen:
    »Ich hätte gern Lady Harrington gesprochen. Melden Sie ihr bitte, daß ich da bin.«
    Der Corporal wollte die Hand nach dem Knopf ausstrecken. Als der Waffenträger jedoch den Kopf wandte und ihn direkt anblickte, zog er die Hand wieder zurück. Henke gab vor, den kurzen Abtausch nicht bemerkt zu haben, aber innerlich seufzte sie. Wenn sie Captain Harrington zu sprechen verlangt hätte, dann hätte der Waffenträger den Marine zweifellos ohne weiteres weitermachen lassen, aber die von ihr gewählte Anrede ließ ihn annehmen, sie wolle Honor nicht in Angelegenheiten der RMN, sondern in ihrer Eigenschaft als Gutsherrin sprechen. Der Beschützerinstinkt von Honors graysonitischen Bediensteten hatte Henke anfangs erschreckt – bis sie begriff, daß die Leute nicht nur von Pauls Tod wußten, sondern auch vom Urteil in Youngs Kriegsgerichtsverhandlung. Keiner von ihnen kommentierte je auch nur einen der Vorfälle, aber ihr Schweigen unterstrich nur, daß sie bezweifelten, Manticore könnte Honor wirksam beschützen … und das konnte Henke ihnen nicht einmal verdenken.
    Sie riß sich innerlich zusammen und verfluchte, daß sie sich mit ihren Erinnerungen an ihren Cousin geistig zerfleischte. Der Waffenträger drückte den Knopf.
    »Ja, bitte?« James MacGuiness’ Stimme, nicht Honors; der Armsman räusperte sich.
    »Captain Henke möchte die Gutsherrin sprechen, Mr. MacGuiness.«
    »Vielen Dank, Jamie.«
    Ein leises Geräusch ertönte, und die Luke öffnete sich. Der Waffenträger trat beiseite, und Henke ging an ihm vorbei. Ein erschöpft wirkender MacGuiness erwartete sie gleich hinter dem Schott. Die Augen, mit denen er sie müde ansah, waren geschwollen und blutunterlaufen. Die Luke zum Schlafzimmer auf der anderen Seite der Kabine war geschlossen; von Nimitz keine Spur.
    »Wie geht es ihr, Mac?« fragte Henke mit sehr leiser Stimme, fast flüsternd, obwohl Honor im Schlafzimmer war und sie auf keinen Fall hören konnte.
    »Keine Veränderung, Ma’am.« MacGuiness erwiderte ihren Blick mit einer Miene, die ihr die Tiefen seiner eigenen Besorgnis offenbarte. »Überhaupt keine Veränderung. Sie liegt einfach nur da, Ma’am.«
    In einer Geste der Hilflosigkeit, die seinem Naturell diametral entgegengesetzt erschien, rang MacGuiness die Hände, und Henke legte dem älteren Mann, den gewaltigen Rangunterschied vergessend, den Arm um die Schulter und drückte kräftig. Mac schloß kurz die Augen; Henke spürte, wie er tief durchatmete, und ließ ihn wieder los.
    »Und Nimitz?« fragte sie genauso leise wie zuvor.
    »Das gleiche.« MacGuiness riß sich zusammen, trat einen Schritt zurück und bot Henke einen Stuhl an, als erinnerte er sich jetzt erst an seine Manieren. »Er will nichts essen«, fuhr er fort, als Henke sich setzte. »Nicht einmal Sellerie.« Zuckend verzog sein Mund sich zu einem flüchtigen, traurigen Lächeln. »Er liegt einfach nur auf ihrer Brust und schnurrt, Ma’am … aber ich glaube nicht, daß sie ihn überhaupt hört.«
    Henke lehnte sich zurück und rieb mit beiden Händen über ihr Gesicht, ein nutzloser Versuch, sich von ihrer Furcht zu befreien. Noch nie hatte sie Honor so gesehen – hätte sich nicht im entferntesten vorstellen können, daß es mit ihr je so weit kommen könnte. Nicht eine Träne hatte Honor geweint, nachdem Henke ihr die Nachricht überbrachte. Sie war nur mit kreidebleichem Gesicht von einer Seite auf die andere geschwankt, und ihre braunen Augen waren die eines kleinen Tiers gewesen, das zermalmt und verstümmelt worden ist und die eigene Qual nicht begreift. Nicht einmal Nimitz’ herzzerreißende, durchdringende Totenklage schien sie zu berühren.
    Dann hatte sie sich Clinkscales zugewandt, noch immer ohne eine einzige Träne und ausdruckslos wie eine Statue, kein Mensch mehr, sondern ein Gebilde aus Eis, und mit einer Stimme, die nicht einmal zitterte, erteilte sie ihm detaillierte

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