Mit Schwert und Magie
zitterte. Die Haut war wie rissiges Pergament, und nur zwei hochrote Flecke auf den Wangen zeigten an, daß in diesem Gesicht noch Leben wohnte. Das lange Haar, das in den Nacken fiel, war verklebt und strähnig. Ein Posten stieß Aymloor mit dem Ellbogen an und murmelte: »Wer ist denn dieses Gerippe?«
Der Magier machte eine beschwörende Geste und flüsterte hinter der vorgehaltenen Hand zurück:
»Der Vater. Wir haben jeden Tag damit gerechnet, daß er tot vom Pferd fällt, aber er ist starrsinnig.«
Der Magier grinste verständnisheischend. Der Wächter nickte und sah dem Reiter nach, dessen Pferd von einem der Rebellen geführt wurde. Sie wurden alle abgelenkt, als Kußwind zornig aufschrie, den Hals zurückbog und dann den Kopf mit weit geöffnetem Schnabel herunterzucken ließ. Der Schnabel schloß sich klickend um einen Lanzenschaft und biß ihn in zwei Teile. Hrobon zerrte am Zügel und fluchte.
Die Wächter rund um das kleine Tor sprangen zur Seite. Die Pferde scheuten und keilten aus. Noch ehe sich die Unruhe ausbreiten konnte, entfernten sich die Mitglieder des Trauerzugs. Durch das Trappeln und Fluchen klang Lamirs stöhnender Sprechgesang. Das Gewimmer der Lautenklänge wurde leiser.
Jerim schloß zu Lamir auf und erkundigte sich schaudernd:
»Hast du das gewußt? Dieser zweite Tote… er hat gesprochen. Ist es wirklich die Mumie des Shallad Rhiad?«
»Ich habe«, entgegnete der Barde trocken, ohne seine Akkorde zu vergessen, »nur selten Umgang mit Mumien…«
»Ich meine es ernst!« fuhr ihn Jerim mit funkelnden Augen an.
»Ich auch. Darfoon und Aymloor sagten mir, daß sie für kurze Zeit die Mumie sprechen und gestikulieren lassen können. Ich muß ihnen wohl glauben. Im Haus des Händlers werden wir, meine ich, noch erstaunlichere Dinge erleben.«
»Lebende Mumien!« sagte Jerim abgrundtief verblüfft und schüttelte sich. »Wäre ich doch auf meinem Bauernhof geblieben.«
»Nur wer reist, lernt die Wunder der Welt kennen«, schloß Lamir. »Gilt auch für dich.«
Während sie durch die Straßen ritten, breitete sich in der Stadt ein seltsames Licht aus. Die Sonne war aufgegangen. Ihre flachen Strahlen erreichten die Zinnen, die Türme und Dächer, das obere Drittel des Palasts und andere Gebäude. Sie lösten die letzten Nebelfetzen auf und verbreiteten einen trügerischen, hellen Glanz. Für einige Stunden herrschte in Hadam der Eindruck, Wärme und Helligkeit würden auch die Menschen beeinflussen können. Aber bald würden die Ausläufer der großen Wolke das Licht verschlucken und die Sonnenscheibe bis zum späten Abend verstecken.
In Hadam regte sich das erste Leben.
Kichernde Jungen weckten einige Betrunkene auf, die in der Gosse geschlafen hatten. Frauen mit verquollenen Gesichtern schlurften zu den Brunnen, deren Plätschern in der Stille einen makabren Laut erzeugt hatte. Von irgendwoher kam das Knallen einer Peitsche. Pferde wieherten. Unrat flog aus einigen Fenstern. Ein Rudel magerer Hunde hetzte durch die schmalen Gassen. Der Reiter aus Logghard, in dessen Hand der Zügel des Pferdes mit der echten Leiche lag, gab seinem Pferd die Sporen und trabte an allen anderen Mitgliedern des Trauerzugs vorbei. Er kannte den Weg.
Der Leichenzug, von den Frühaufstehern hohläugig angestarrt, bog nach einiger Zeit auf den Platz unterhalb der Palasttreppe ein. Gegenüber dem Brunnen und der unvollendeten Plattform befand sich das Haus des Kaufmanns mit dem wuchtigen Turm. Im obersten Stockwerk hatte der Turm eine große, gemauerte Kanzel, einen Balkon, von dem aus sich das Treiben auf dem Platz zu jeder Tageszeit und in allen Einzelheiten beobachten ließ.
An einer Wand des Turmes waren Schriftzeichen und Bildnisse jener Artikel angebracht, mit denen Abd’Shahid handelte.
»Halt!«
Aymloor rannte an den Pferden vorbei, klopfte in einem bestimmten Rhythmus an die prächtige Tür des Händlers und sah sich vorsichtig um. Fast gleichzeitig öffneten sich die Eingangstür und die des Stalles. Knechte kamen heraus und machten betrübte Gesichter; waren sie eingeweiht worden? Die Männer des Trauerzugs taten nichts, was sie verraten konnte. Darfoon und der zweite Magier stimmten eine Litanei an, in der sie den Tod des Bruders beklagten, und als endlich Abd’Shahid erschien, brachen sie, von Lamir unterstützt, in Wehklagen aus.
Die Reittiere wurden in ein Gewölbe geführt, in dem leere Gespanne und gestapelte Warenbehälter standen. Mit unendlicher Vorsicht zerschnitt man die
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