Mit Sherlock Holmes durch Raum und Zeit 2
Junggeselle hatte mein Gefährte die Angehörigen des weiblichen Geschlechts während der Zeit, in der ich ihn kannte, mit makelloser Höflichkeit und Freundlichkeit behandelt und sich bei nur einer Gelegenheit erlaubt, gewisse romantische Gefühle für sie zu hegen. Dabei hatte er sich in all den Jahren, die nach diesem Zwischenfall schon vergangen waren, geweigert, auch nur den Namen der betreffenden Person zu nennen.
Anläßlich jeder meiner Ehen hatte er mir und der Braut überschwenglich gratuliert und mir geholfen, indem er die Möbelpacker bei der Entfernung meiner persönlichen Habe aus unserer Junggesellenwohnung beaufsichtigte. Er hatte stets ein freundliches, wenn auch etwas zurückhaltendes Interesse an meinem Wohlergehen gezeigt, bis die Zwänge des Schicksals das Ende meines Ehedaseins und meine Rückkehr in unsere Räume in der Baker Street diktierten.
Das alles hatte nun ein Ende gefunden. Der große Detektiv hatte sich aus dem Berufsleben zurückgezogen und widmete sich nun in Sussex Down der Bienenzucht. Nachdem mich mein letzter Versuch auf dem Meer der Ehe auf die scharfen Klippen der Katastrophe geführt hatte, war ich in die 22iB zurückgekehrt, nur um herauszufinden, daß mein altes Heim von einem Fremden bewohnt wurde. Nach Ersuchen der stets zuvorkommenden Mrs. Hudson hatte ich erfahren – nachdem ich einige Hände geschüttelt hatte und einige Tränen vergossen worden waren –, daß mein Gefährte (mein ehemaliger Gefährte, sollte ich lieber sagen) die Wohnung mit allem Drum und Dran geräumt hatte. Fort, erzählte mir die gute Frau zitternd, waren der berühmte Dolch, die Kartons mit den Zeitungsausschnitten, der Phonograph, die Büste, der Apparat zur Erzeugung kohlensauren Wassers und die berüchtigte Spritze.
Selbst die patriotischen Initialen V.R. mit Schußlöchern in Mrs. Hudsons geschätzte Mahagoniwandtäfelung eingestanzt, waren ausgebessert und überstrichen worden, so daß jede Spur des ehemaligen Mieters ausgelöscht war. Nur eine falsche und sterile Pseudobehaglichkeit zeichnete die Räume aus, die ich so lange bewohnt hatte.
So niedergeschlagen war ich, als ich erfuhr, welche Wende die Dinge genommen hatten, daß ich Mrs. Hudsons Angebot, Lachs und kleine Teekuchen mit einem Glas Chateau Frontenac ‘09 hinunterzuspülen, kaum annehmen konnte, bevor ich wieder in die frostige Nacht hinauswankte.
Ich war verzweifelt!
In einem Zustand des finanziellen wie auch gefühlsmäßigen Elends wanderte ich durch die Straßen der größten aller Städte, prallte vor den gut eingepackten Körpern später Käufer und früher Zecher zurück und bahnte mir unter der Führung eines schlecht verstandenen Instinkts den Weg durch zwar unmerklich, aber immer schäbiger, verrufener und gefährlicher werdende Viertel. Schließlich fand ich mich wieder, wie ich vor der Fassade des Hauses stand, das schon bald mein neuer Wohnsitz werden sollte.
Hinter mir flackerte unregelmäßig eine Gaslampe. Sie warf schreckliche, unheimliche Schatten. Das Pochen und Klopfen der Pferdehufe auf den Pflastersteinen vermischte sich mit dem Ächzen ihrer Geschirre und einem gelegentlichen fernen Schrei, dem man in Limehouse am besten nicht nachgeht, wenn der selbsternannte Samariter nicht das Schicksal des Unglücklichen teilen will, den zu retten er versucht.
Ein gelbes Pappschild in einem Parterrefenster verkündete, daß im Haus eine Wohnung zu vermieten sei. Der Zustand des Schildes deutete an, daß die Wohnung seit geraumer Zeit leerstand, und dank dieser ingeniösen Deduktion war ich imstande, den verlottert aussehenden und unfreundlichen Vermieter auf einen Preis herunterzuhandeln, der von meiner gefährlich schmalen Geldbörse verkraftet werden konnte.
Ich hatte die Lektionen der Beobachtung und Deduktion, die mein langjähriger Gefährte mir beigebracht hatte, gut gelernt – und nun wurde ich durch diese Lektionen für unzählige Erniedrigungen entlohnt, indem ich meinem gefährdeten Konto eine beträchtliche Summe ersparte!
Kaum hatte ich mich in mein neues Reich begeben, als ich leichtfüßige Schritte auf dem Gang vor meinen Räumen vernahm und dann das Klopfen einer kleinen, aber entschlossenen Hand gegen die schwere und lange nicht mehr geöffnete Tür.
Einen Augenblick lang gab ich mich der Vorstellung hin, die Tür werde sich öffnen und einen vertrauten Anblick enthüllen – einen Gassenjungen, wie sie mein Gefährte manchmal beschäftigte; die stattliche, tournürte Gestalt von Mrs.
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