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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Romantikern, wenn sie die phantasielose Leere und unmenschliche Kälte der modernen Welt nicht mehr ertragen. Im selben Maße, in dem die Entleerung von Gefühlen und somit von seelischem Sinn in der Moderneum sich greift, stellt sich die Frage der Romantik stets von neuem: So ist das Aufkommen eines kulturellen Deutungsmusters in der Moderne selbst zu verstehen, das in Gefühlen das einzig »Wahre« und Natürliche am Selbst sieht, ein neues Pathos der Gefühle, das sie von ihrer rationalen Beherrschung zu befreien hofft. Daraus geht die implizite Norm hervor, »den Gefühlen zu folgen«, und zuweilen scheint darin eine gewisse Weisheit zu liegen, zuweilen auch nicht. Aufgabe einer andersmodernen Lebenskunst ist es, den Impuls aufzunehmen, Gefühle und Fühlsamkeit wieder zu gewinnen, über die Befreiung der Gefühle hinaus jedoch der neu gewonnenen Freiheit Form zu geben , eine Übung der Seele und seelische Asketik. Diese Arbeit konzentriert sich im Begriff der »pragmatischen Romantik«, um dem pragmatischen Leben Gefühl und seelischen Sinn, dem romantischen Gefühl aber Lebbarkeit zu vermitteln.
    Eines ist die Emotion, die innere Bewegung , die unbewusst und unerkannt bleiben kann, ein anderes aber die Emotion, die als solche bewusst und erkannt wird und nun als Gefühl wahrnehmbar ist. Neurobiologisch kommt beiden »regulatorische Funktion« zu: Jedes Phänomen, jede Situation im Inneren und Äußeren wird in Bezug zum gesamten Organismus gesetzt und »eingefärbt«, nämlich als förderlich oder abträglich bewertet, um darauf reagieren zu können. Emotionen sind dem Selbst behilflich, »am Leben zu bleiben«, und zwar negative ebenso wie positive: Das allein »mit einer rosaroten Brille« ausgestattete Selbst wäre gefährdet, denn es entbehrte den Schutz vor Abträglichem (Damasio, Ich fühle, also bin ich , 1999). Mit dem Grad einer Bewusstheit der Gefühle wächst jedoch zwangsläufig der Anteil der Deutung an ihrer Empfindung. Und da keine Zeit jemals ein so bewusstes, theoretisch reflektiertes Verhältnis zu Gefühlen unterhalten hat wie die Moderne, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Empfindung, die immer mehr verliert, was sie doch einst auszumachen schien: ihre Unmittelbarkeit. Da der Prozess kaum umkehrbar ist, gilt es, die zunehmende Bewusstheitder Gefühle zu ihrer Gestaltung zu nutzen, denn sehr wohl kann das Selbst sie »trainieren, aber nicht vollständig unterdrücken« (Damasio). Vorübergehend mag es als zu »technisch« gedacht erscheinen, gestaltend in sie einzugreifen; aber das Ziel ist, sie mit wachsender Einübung und Gewöhnung schließlich wieder als »natürlich« erscheinen zu lassen: Dann erst ist ihre Gestaltung gelungen. Da bei der Aufrechterhaltung der Rede von Natürlichkeit nicht klar ist, was die »authentische« Empfindung ist, sollte entscheidend sein, was als Natur angenommen wird: eine willentliche Annahme, eine Vorstellung, um einen erwünschten anstelle eines gegebenen Zustands zu bezeichnen. In die Annahme von Natur fließt ein, was für klug und sinnvoll, letztlich für schön und bejahenswert gehalten wird.
    So lässt sich eine Kunst der Gefühle begründen, die weder darin besteht, deren Bedeutung zu leugnen, noch ihnen blind zu willfahren. Sie folgt der Dreistufigkeit des Könnens jeder Kunst, und der erste Akt der Gestaltung zielt demgemäß auf die Möglichkeit der Gefühle, für die ihre Deutung wesentlich ist, bezogen beispielsweise auf die Gefühle der Freundschaft und der Liebe zu anderen und auch zu sich selbst: Welche Möglichkeiten für diese Gefühle gibt es, welche Bedeutung wird ihnen zugemessen, was an ihnen wird als positiv und negativ bewertet, und welcher Stellenwert im eigenen Leben soll ihnen zukommen? Das Selbst klärt für sich selbst, ob es einen Mangel oder Überfluss an diesen Gefühlen empfindet, ob es Kränkung und Verletzung oder Bestätigung und Bestärkung in ihnen erfährt, ob seine Gefühle abgewiesen oder missbraucht werden, unzureichenden oder überschwänglichen Ausdruck finden; welche Gefühle es demzufolge suchen, welche meiden sollte. Als Beitrag zur Ermöglichung kann vor allem der Begriff gelten, den das Selbst sich von einem Gefühl macht, was es also unter einem bestimmten Gefühl wie Liebe oder Schmerz versteht oder nicht versteht: Das wirkliche Gefühl ist Produkt einer Festlegung im Voraus und einer Reflexion gemachter Erfahrungen im Nachhinein. Es ist der Begriff,der die Art des Fühlens beeinflusst und es schwer

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