Mit sich selbst befreundet sein
Hinnahmefähigkeit, eine Bereitschaft, das auszuhalten, was sich nicht ändern lässt, missliche Zustände etwa, und sei es nur temporär, auch Schmerzen, und sei es nur zu Übungszwecken. Bis zu einem bestimmten Maß, das vom Selbst allein festzulegen ist, besteht sie darin, Verletzungen der Seele zu ertragen, die unvermeidlich sind, unabdingbar auch um der Polarität des Lebens willen. Tapferkeit verbürgt Beharrlichkeit in der Zeit, Standhaftigkeit in Auseinandersetzungen, ebenso eine Widerständigkeit gegenüber Zumutungen.
Aber bei der Tapferkeit geht nicht nur um das Selbst, sondern auch um das Einstehen für andere, um sie in Bedrängnis nicht allein zu lassen: Allgemeine Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit könnten ohne ein couragiertes Handeln des einzelnen Selbst in einer je spezifischen Situation gefährdet sein. DieVoraussetzung für dessen Zivilcourage ist nicht etwa, ein besonderer Mensch oder gar »Gutmensch« zu sein; weder ist es dafür nötig, sonderlich moralisch noch im Übermaß anderen zugewandt, also »Altruist« zu sein. Es bedarf auch keiner außerordentlich großen Reflektiertheit, wie sich daraus ergibt, dass Intellektuelle nicht zwangsläufig auch die couragiertesten Menschen sind. Sinnlos erschiene, Zivilcourage zur Norm machen zu wollen, da sie doch auf der Form des Selbst aufruht, seiner Festigkeit und der Ausbildung seines Gespürs , das mit dem Reichtum seiner Erfahrungen wächst: Eigene problematische Erfahrungen können dazu führen; ebenso ermutigende Erfahrungen, die sich vielleicht aus dem gelebten Beispiel anderer ergeben. Aber nicht Übermut, nur gesteigerter Mut ist Tapferkeit; kein blinder Mut, der Gefahren nicht wahrnehmen würde, kein rücksichtsloser Mut, der über Leichen ginge, durchaus auch kein selbstloser Mut, denn das Selbst erhofft sich im Gegenzug die Courage anderer, sollte es ihrer selbst bedürfen. »Sensible Stärke« ( phrónimos kartería ), wie es in Platons Dialog Laches heißt, bildet diesen Mut, der mit Klugheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit im Verbund steht.
Letztlich ist Zivilcourage keine isolierte, für sich bestehende Eigenschaft, sondern geht aus dem Zusammenhang eines ganzen Lebens hervor und hat ihren Platz in der Gesamtheit der Erfahrungen und Vorstellungen eines Menschen. Couragiertes Handeln hat, wie einst die Tapferkeit in der Antike, mit einem couragierten Leben zu tun. Entscheidend dafür ist der gesamte Mut zum Sein, der Lebensmut, Schwierigkeiten durchzustehen, sich mit Misslichkeiten und Widrigkeiten auseinander zu setzen und dem Leben nicht abzuverlangen, das Erwünschte ohne Widerstände stets umstandslos bereitzustellen. Immer ist es der Mut eines Einzelnen, der sein Leben nicht daran orientiert, was »alle tun«, sondern was er nach bestem Wissen und Gewissen für richtig hält, um auf dieser Grundlage ein Leben zu führen, das ein eigenes, selbstständiges, engagiertes und kreatives Leben ist. Daher gehtes selbst im Falle der Zivilcourage nicht primär um das Leben anderer, sondern um das eigene Leben, verbunden mit Selberdenken, Selbstachtung und Selbstverantwortung. Das Problem des »eigenen Lebens« liegt nicht etwa darin, dass es von anonymen Mächten und ganzen Systemen unmöglich gemacht würde, sondern dass das Selbst womöglich zu mutlos dazu ist. Es so zu leben, dass dies ihm Achtung vor sich selbst abverlangt, ist der Sinn des Lebensmutes; sich selbst achten und anerkennen zu können, befähigt wiederum zur Achtung und Anerkennung anderer. Die anerkennende Haltung im Hinblick auf sich hat aus diesem Grund Vorrang vor der Anerkennung des Selbst durch andere; ein Kampf um Anerkennung könnte unter diesem Aspekt auch als Kompensation für fehlende Selbstanerkennung erscheinen. Grundlegend ist die Sorge um die vortrefflichen Eigenschaften der eigenen Seele, die zur Wahrnehmung der Sorge auch für andere und die Gesellschaft befähigen; aus der Sorge geht Selbstmächtigkeit und damit Selbstachtung hervor, während eine bloße Ohnmacht sich selbst gegenüber der Selbstachtung nicht förderlich ist. Den individuellen Spielraum zwischen Ohnmacht und Selbstmächtigkeit aber in Erfahrung zu bringen, womöglich auch Tapferkeit zu erproben: dazu fordert unaufgefordert der Schmerz heraus.
Gibt es eine Kunst im Umgang mit Schmerz?
Fundamentale Gefühle sind Lust und Schmerz, die in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander angewiesen sind: Ein Leben reiner Lust wüsste ohne schmerzliche Kontrasterfahrung nichts von sich;
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