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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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fallen, vieles kommt ihm zupass, gerade zur rechten Zeit begegnet ihm das Richtige. Das Geheimnis dieses Lebens ist jedoch die Bereitschaft zu einer Anstrengung, das Bemühen um Gelassenheit , mit all den Varianten aus der Familie des Lassens, die verfügbar sind: offen lassen, zulassen, geschehen lassen, wachsen lassen, jemandem etwas überlassen, sich auf jemanden verlassen etc.Gelassenheit ist der Gegenbegriff zum modernen Voluntarismus und Aktivismus und besteht darin, lassen zu können statt immer wollen zu müssen, gelegentlich passiv zu bleiben statt immerzu nur aktiv zu sein. Die notwendige Voraussetzung hierfür ist, zur Passivität als einer Option der Lebensgestaltung neben der Aktivität überhaupt in der Lage zu sein. Dann wird das Selbst des wirklichen Lassens mächtig, der passiven Wahl, die getroffen wird, um auf einen aktiven Zugriff oder ein Eingreifen zu verzichten, dies aber sehr bewusst zu tun: Dinge und Verhältnisse nicht stets beeinflussen zu wollen, sondern auch auf sich beruhen lassen zu können; gelegentlich etwas Muße zu pflegen statt immer nur der Unmuße anheim zu fallen.
    Das Selbst, das sich um Gelassenheit bemüht, lernt zu unterscheiden zwischen dem, was in seiner Macht steht, und dem, was sich seinem Zugriff gänzlich entzieht, um sich auf Ersteres zu konzentrieren und die Fähigkeit zur Hinnahme des Letzteren zu entwickeln. Keineswegs im Sinne einer unterschiedslosen Hinnahme von allem, sondern ganz so, wie dies im »Gelassenheits-Gebet« von 1943 des deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zum Ausdruck kommt: »Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.« Die Möglichkeit zur Hinnahme ist das, was dem Selbst bleibt, wenn seine Selbstbestimmung außer Kraft gesetzt ist, wie etwa im Schmerz. Es übt sich in der Hinnahme im Umgang mit all dem, was ihm nicht zupass kommt (und immer gibt es etwas, das »nicht passt«), ist zu Umwegen bereit, wenn etwas oder jemand im Weg steht, und lernt, sich willentlich dem zu fügen, was sich als notwendig erweist, sogar zu lieben, was es muss, und auch aus Dingen, die nicht mehr zu ändern sind, noch etwas zu machen. Selbst im Ärgernis tut sich vielleicht eine Möglichkeit auf, die nicht zu erahnen war; eine unverhoffte Begegnung, eine zauberhafte Zeit geht möglicherweise daraus hervor. Zumindest aber verausgabtdas Selbst sich nicht in Ressentiments, in Vorwürfen gegen sich und andere, die doch nichts mehr daran ändern können, dass etwas »schief lief« oder versäumt worden ist.
    Ebenso prägend für die Gelassenheit ist die Fähigkeit zur Hingabe , an andere, denen die Hingabe anvertraut werden kann, an Dinge, Ideen, Aufgaben, an das Leben überhaupt. Der Lebenskünstler leistet Verzicht darauf, offenkundige Bedingungen menschlichen Lebens ändern zu wollen, etwa dessen Unstetheit, Widersprüchlichkeit, Schicksalhaftigkeit, Sterblichkeit. Er fügt sich dem Wellengangprinzip des Lebens , diesem steten »Auf und Ab«, statt seine Kräfte wirkungslos im Widerstand dagegen zu vergeuden. Er erarbeitet verschiedene Alternativen und überlässt es dem Leben zu entscheiden, welche davon Realität werden soll. Er hat nicht nur Ideen, sondern lässt sich vom Zufall auf Ideen bringen; und selbst der misslichen Erfahrung weiß er noch einen Platz in seinem Leben zu geben, statt sie daraus verdrängen zu müssen. So wird alles zu Wasser auf seinen Mühlen: Er gestaltet sein Leben, indem er es vom Leben selbst gestalten lässt. Bei allem eigenen Tun kann er auch anderen und der Geschichte überlassen, was werden soll, was nicht. Er ist in der Lage, sich führen zu lassen – von Ideen und Gedanken, die ihn überzeugen; von Situationen, denen er sich anvertraut; von Kindern, die dem Erwachsenen eine vergessene Welt wieder nahe bringen; von Geliebten, Freunden, vertrauten Menschen, Lebenden wie auch Toten, deren Stimme er in sich vernimmt. Es geht nicht darum, so verfahren zu müssen, aber über diese Optionen verfügen zu können, um sie dort einzusetzen, wo es geeignet erscheint.
    Und zuletzt bedarf der Lebenskünstler der Option einer ultimativen Gelassenheit , über die er dort verfügt, wo vielleicht seine Existenz und mehr noch die Existenz des Menschen überhaupt in Frage steht. Eine umfassende Dimension wird damit eröffnet, die ihm erlaubt, von sehr weit außen auf die menschlichen Dinge und sich

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