Mit sich selbst befreundet sein
selbst zu blicken und sich sagen zu können, wie Seneca im 91. seiner Briefe an Lucilius über Ethik , »welch ein geringer Teildes Alls sind wir!« Die Existenz des Menschen, ausgebreitet auf dem Planeten, reduziert sich auf eine Punktförmigkeit, die in kosmischer Sicht faszinierend, aber nicht ersichtlich von Belang ist. Die eigene Existenz erscheint eingebettet in größere Zusammenhänge, denen das Selbst sich überlassen kann, auch wenn es sie nicht wirklich durchschaut. Darüber nicht allzu viel zu sprechen, lässt nicht auf Ignoranz schließen, sondern resultiert nur aus dem Schweigen, das angesichts solcher Zusammenhänge angemessen erscheint: Jedes bestimmte Wort würde sie in ihrer Unbestimmtheit beeinträchtigen. Diese Zusammenhänge bilden den abgründigen Grund, aus dem heraus die Heiterkeit als Haltung möglich wird, die mit der Gelassenheit zur »heiteren Gelassenheit« verschmilzt.
Heiterkeit erscheint beim ersten Hinsehen als Leichtigkeit des Seins im Kontrast zu dessen Schwere, zu Angst, Schmerz, Leid und Tod. »Unerträglich« wird die Leichtigkeit des Seins nur für denjenigen, der die Schwere und Schwerkraft des Lebens nicht mehr kennen will. Die erträgliche Leichtigkeit des Seins resultiert aus der Konfrontation mit der Schwere; sie beruht auf einer Haltung, die sich der Existenz der Schwere stets bewusst ist und sie nicht zu negieren versucht, sich allerdings von ihr auch nicht niederdrücken lässt. Der Lebenskünstler weiß um die Schwere, er weiß, wie abgründig, brüchig, widersprüchlich, zerbrechlich und fragwürdig von Grund auf alles Sein ist, und er akzeptiert es; das macht ihm das Leben »leichter«. Heiterkeit kündet von der Integrität desjenigen, der mit sich »im Reinen ist«. Mit schweren Belastungen hat auch er fertig zu werden, aber er versucht sie zu erleichtern durch die anhaltende Beschäftigung damit, zu obsessiv vielleicht in den Augen anderer, die er daher aus diesem Prozess herauszuhalten versucht. Er selbst leistet eine Arbeit an sich selbst, bis die Belastung ihr drückendes Gewicht verliert und leichter zu tragen ist. Ob sie je gänzlich aufgehoben werden kann, ist ungewiss. Gewiss ist nur die Möglichkeit ihrer Einbeziehung in die Integrität des Selbst, die Gewöhnung an ihrGewicht und die Ausbildung einer Konstitution, die sie trotz allem zu tragen vermag, sodass, was schwer ist, letzten Endes leicht erscheint. Im Gegenzug kann Lebenskunst auch bedeuten, ein leichtes, allzu leichtes Leben schwerer zu machen; und sollte zwischen zwei Wegen zu wählen sein, so »wähle stets den schwierigeren«, rät eine tibetische Weisheit: »Er wird die besten Seiten in Dir wecken!«
Die Betonung des Lassens in der Gelassenheit ermöglicht schließlich das Gewährenlassen auch des Abgründigen und Widersprüchlichen. Das gilt für die Angst im Kontrast zum Freisein von ihr, für den Schmerz im Kontrast zur Lust, für das Leid im Kontrast zur Freude, für den Tod im Kontrast zum Leben. Dieses Gewährenlassen bildet die Grundlage der Heiterkeit , die sich als Kunst der Balance nun darum bemühen kann, die negativen Erfahrungen wieder auszubalancieren, um sie lebbar zu machen. Zuweilen nutzt das Selbst hierfür das »Positivdenken«, tariert es aber durch ein »Negativdenken« wieder aus, mit dessen Hilfe drohendes Ungemach frühzeitig in den Blick kommt. Die Heiterkeit ist eine geistige Haltung, kein Affekt. Wenn sie in Affekten zum Ausdruck kommt, dann nicht nur in Fröhlichkeit, sondern auch in Traurigkeit. Sie ist eine Haltung, die die Melancholie mit einbezieht, sie lediglich nicht allein herrschend werden lässt. Dass eine Stadt wie Venedig serenissima , »die Heiterste« genannt werden kann, liegt in der Eigentümlichkeit der Heiterkeit begründet, die die Abgründigkeit menschlicher Existenz anerkennt und ausbalanciert. Wenn Heiterkeit ein Weg ist, das Leben leichter zu machen, dann deshalb, weil sie sich der grundlegenden Tragik von Leben und Welt nicht entzieht, darin jedoch auch nicht untergeht. Sie versucht sich in der Gratwanderung zwischen unversöhnlichen Widersprüchen und am Rande von Abgründen, und gerade dort, wo deren Unaufhebbarkeit bewusst ist, kann sie sich entfalten. Die »reine Heiterkeit«, die Goethe Shakespeare zusprach, bezieht sich zweifellos auf das gelassene Bewusstsein des Tragischen, das aus dessen Dramenspricht. Und wenn Eckermann an Goethe selbst ein »erhabenheiteres Wesen« beobachtet, so ist damit wohl die Haltung gemeint, die vieles
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