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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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das sich umstandslos und ohne großen Aufwand von selbst in Bewegung setzt und die Zirkulation der Lebenskräfte wieder in Gang bringt, sofern es vom Denken nicht darangehindert wird. Gehen ist eine Möglichkeit, das Nächste zu tun, um das Fernste wieder in den Blick zu bekommen: Der Raum öffnet sich und erweist seine Weite, und das Selbst begründet eine Beziehung zu ihm, die intensiver ist als bei jedem Verharren an einem Ort, sei der Ort auch ein fahrender, von Blech umschlossener. Der gleichmäßige Rhythmus des Gehens überträgt sich auf das gesamte Selbst und sorgt über den sinnlichen Sinn der Bewegung hinaus auch wieder für eine Grundlegung des Sinns im geistigen Sinne: Das Gehen setzt das Denken frei, der Körper geht und ich denke; aus diesem Grund sagt Michel de Montaigne im Essay »Über dreierlei Umgang« von sich, »mein Geist rührt sich nicht, wenn meine Beine ihn nicht bewegen«.
    Und noch ein siebter, »introzeptiver« innerer Sinn ist auszumachen, dessen neurobiologische Entsprechung in der Lage ist, »winzige Abweichungen in den Parametern des inneren chemischen Körperprofils zu entdecken« (Damasio). Eine Verfeinerung dieses Sinns ist zu erreichen durch die Übung, hypochondrisch sich zu spüren , ein »Hineinhören« in den eigenen Körper, um ein Körpergespür zu entwickeln, das zunächst übertrieben ausfallen mag, aber aus freien Stücken einzuüben ist, bevor seine Ausbildung unfreiwillig geschieht, erzwungen von Kränklichkeit und Krankheit. Die inneren Abweichungen, in denen auch Reaktionen auf äußere Verhältnisse spürbar und, wenngleich nur vage, bewertet werden, sind für das Selbst von Bedeutung, da die Stabilität des »inneren Milieus« im Körper nur geringe Schwankungen in den Werten von Hormonen, Glukose, Sauerstoff, Kohlendioxyd, Wasseranteil und vielem mehr, auch im Zustand von Organen, Blutgefäßen und Muskeln zulassen kann. Permanent werden diese Werte mit »Sensoren« gemessen, werden Informationen hierzu elektrisch und chemisch über Nervenund Blutbahnen an Gehirnareale übermittelt, sodass über unbewusste und bewusste Reaktionen Haltung und Verhalten gegebenenfalls zu ändern sind. In die präzisere innere Wahrnehmung kann das Selbst sich einüben, indem es sich körperlichen Erfahrungenin fremden Umgebungen, anderen Kulturen, extremen Situationen aussetzt, in denen keine Selbstverständlichkeit den Körper mehr umhüllt und jede Erfahrung ihn ungeschützt trifft. Eine schonendere Methode ist die therapeutische Zuwendung zum Körper, die das Körpergespür allmählich verstärkt und verfeinert und dem Selbst im Laufe der Zeit Kenntnisse von inneren Wesenheiten vermittelt, die ihm, wiewohl immer schon Teil seiner selbst, lange fremd geblieben sind.
Gerechtigkeit für Piriformis!
    Rückenschmerzen werfen, Standarderfahrung für moderne Menschen, plötzlich und unabweisbar die Frage nach dem Umgang mit dem eigenen Körper auf. Sie zu ignorieren, bewährt sich nicht. Die Hoffnung, sie würden von selbst verschwinden, erfüllt sich nicht; vielmehr wird sie ihrerseits fragwürdig: Wäre es nicht ein Gebot der Klugheit, sich um den eigenen Rücken zu kümmern? Ist dies nicht von Grund auf eine Frage der Gerechtigkeit, sofern die Ethik im Umgang mit sich selbst ernst genommen werden soll? Wie kann dem Rücken also besser entsprochen werden? Eine Möglichkeit, sein Eigenrecht anzuerkennen, aufmerksam auf ihn zu sein und pfleglich mit ihm umzugehen, wäre fürs Erste, mehr Bewegung zu suchen, etwas Sport zu treiben, sodann aber mit körpertherapeutischen Möglichkeiten sich zu befassen. Die Osteopathie ist eine davon, wörtlich das »Knochenleiden«, eine ungeschickte Wortwahl des Begründers Andrew Taylor Still im ausgehenden 19. Jahrhundert. In Wahrheit geht es um die Bänder, Muskeln und Sehnen, die das Knochengerüst halten oder dies eben schmerzhaft nicht mehr tun. Die Osteopathie ist eine »manuelle« Diagnose und Therapie, beruht also auf der Anwendung der Hände im gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozess, um letztlich Eigenreaktionen des Körpers in Gang zu bringen und Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Die Stimulation der Körperteile, deren eingeschränkteBeweglichkeit andere Teile in Mitleidenschaft zieht, soll das »Knochenleiden« beheben. Durch die gezielte Berührung wird die Verkrampfung und Verspannung schmerzlich fühlbar, der verstärkte Schmerz ruft die Arbeit des Körpers herbei, und wie groß dessen Mühe und Anstrengung ist, zeigt die

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