Mit verdeckten Karten
bereits die Nase voll von diesem Igor Sergejewitsch mit seiner gespielten Selbstsicherheit und seiner schlecht kaschierten Angst, aus dem Staatlichen Zentrum für Internationale Beziehungen hinauszufliegen und seine Pfründe zu verlieren. Nicht genug, daß man seinen Stellvertreter direkt am Arbeitsplatz umgebracht hatte, jetzt auch noch diese dumme Pute von der Miliz, die hier hereingeschneit kam und in Dingen herumschnüffelte, die sie nichts angingen. Fehlte noch, daß publik würde, was Tarassow in seinem Schreibtisch gefunden hatte.
»Warum sollte ich das nicht denken?« fuhr Nastja fort, so, als würde sie den Haß nicht bemerken, der ihr aus Schulgins Augen entgegenschlug. »Was sollte an diesem Gedanken so abwegig sein?«
»Wie . . . wie . . . Wie können Sie es wagen?!«
»Warum denn nicht?« wiederholte sie mit müder Stimme. »Ich muß jede Möglichkeit in Betracht ziehen. Ob die Koroljowa, die Naumenko, Sie oder irgendein anderer – jeder könnte Tarassow erwürgt haben. Verstehen Sie doch, Igor Sergejewitsch, wir wissen über den Ermordeten so wenig, daß wir weder Sie noch sonst jemanden einfach so von der Liste der Verdächtigen streichen können. Wenn Sie über ihn mehr wissen als ich, dann helfen Sie mir doch bitte, indem Sie Ihr Wissen mit mir teilen. Vielleicht könnte das dazu beitragen, daß ich den Verdacht gegen Sie und Ihre Mitarbeiterinnen fallen lassen kann. Aber solange Sie so bissig sind und mir mit Ihrer ganzen Mimik und Gestik zeigen, daß ich Ihnen nicht gefalle, wird die Lage nicht besser werden, das kann ich Ihnen versprechen.«
»Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen«, brauste Schulgin auf. »Wer sind Sie denn, daß Sie mich verdächtigen? Ich bin zwanzig Jahre älter als Sie, und Sie kommen hier herein und wollen mich belehren, eine Rotznase wie Sie. Ihre Aufgabe ist es, den Mörder zu suchen, statt dessen folgen Sie Tarassows Beispiel und versuchen, in der schmutzigen Wäsche und in persönlichen Papieren anderer herumzuwühlen. Ich wünsche nicht, mich noch länger mit Ihnen zu unterhalten. Ich werde meine Aussage nur vor Ihrem Vorgesetzten machen, der hoffentlich, im Gegensatz zu Ihnen, ein anständiger und solider Mensch ist.«
»Ich muß Sie enttäuschen, Igor Sergejewitsch, mit meinem Chef werden Sie erst recht auf keinen grünen Zweig kommen. Er hat einen sehr schwierigen Charakter, gegen ihn bin ich so harmlos wie ein Schmetterling. Und noch eines. Sie sollten den Altersunterschied zwischen uns nicht übertreiben, ich bin viel älter, als Sie glauben.«
Nastja begann, ihre Sachen systematisch einzusammeln, die Zettel mit den Notizen, ihre Zigaretten, das Feuerzeug, sie nahm alles vom Tisch, verstaute es ordentlich in ihrer überdimensionalen Sporttasche und erhob sich.
»Ich werde Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Igor Sergejewitsch. Morgen wird Sie mein Chef anrufen, den Sie so gern treffen möchten, und Ihnen sagen, wann und zu welcher Uhrzeit Sie in der Petrowka zu erscheinen haben. Dort wird es Ihnen viel weniger gut gefallen als hier, in Ihrer gemütlichen Büroküche, wo Sie sich auf Ihrem eigenen Terrain befinden und sich benehmen können, wie Sie wollen. Übrigens, ich will nicht, daß Sie eine böse Überraschung erleben, deshalb sage ich es Ihnen gleich: mein Chef, Oberst Gordejew, wird Sie morgen auf jeden Fall fragen, warum kein schriftliches Protokoll über Ihre heutige Aussage erstellt wurde. Was werden Sie ihm darauf antworten?«
»Was geht mich das an?« fauchte Schulgin. »Woher soll ich wissen, warum Sie kein schriftliches Protokoll über meine Aussage angefertigt haben. Warum versuchen Sie, mich einzuschüchtern?«
»Richtig«, sagte Nastja seufzend, »Sie werden meinem Chef sagen müssen, daß Sie nicht wissen, warum es kein Protokoll gibt. Deshalb wird er mich danach fragen. Und ich werde ihm sagen müssen, daß Sie während des Gespräches mit mir nicht nüchtern waren, und Personen, die nicht nüchtern sind, dürfen nicht verhört werden. Wie sich die Dinge dann weiterentwickeln werden, weiß ich nicht. Vielleicht wird der Untersuchungsführer dem Generaldirektor des Zentrums mitteilen, daß Mitarbeiter in leitender Position am Arbeitsplatz trinken und sich nicht einmal davor scheuen, betrunken zu einem Gespräch mit einer Kripobeamtin zu erscheinen, obwohl es um eine so ernste Angelegenheit wie die Untersuchung eines Mordfalles geht. Was diese Mitarbeiter in ihren Schreibtischen aufbewahren – das wird der Gegenstand einer
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