Mit verdeckten Karten
herbeigerufenen Mitarbeiter der Wache. Wer könnte beschwören, daß sie nicht bereits eine Stunde vorher schon einmal im Büro gewesen war? Sie lebt getrennt von ihrem Mann, die Tochter hat die Wohnung um halb acht verlassen, um zur Schule zu gehen, und weiß nicht, wann die Mutter aus dem Haus gegangen ist, um dreiviertel acht oder um dreiviertel neun. Sie hat panische Angst davor, entlassen zu werden, besitzt, im Gegensatz zur Koroljowa, keinerlei Ausbildung. Wenn man sie aus dem Zentrum hinauswirft, wird sie nie wieder eine so lukrative Arbeit finden. Wenn eine Frau ohne Ausbildung und ohne Köpfchen Geld verdienen will, muß sie in der Regel zumindest jung und langbeinig sein, dann hat sie vielleicht Hoffnung auf den Posten einer Sekretärin in irgendeiner Firma. Wenn Tarassows Tod die Naumenko vor der unausweichlichen Entlassung bewahren konnte, hatte sie durchaus ein Motiv.
Und schließlich Igor Sergejewitsch Schulgin. Ein unflexibler, starrsinniger Mensch. Mangelnde Auffassungsgabe. Ist nicht bereit zu Kompromissen, nicht aus Prinzip, sondern aus Starrsinn und idiotischer Selbstverliebtheit. Kompromißbereitschaft bedeutet für ihn, klein beizugeben und einen Irrtum einzugestehen, und solche Leute geben nie und unter keinen Umständen einen Irrtum zu. Nastja hatte ihn heute auf die Probe gestellt, indem sie ihm zuerst ein bißchen Angst einjagte und dann einen Ausweg anbot, aber er hatte das Angebot nicht angenommen. Er denkt nicht strategisch, es geht ihm nur darum, sich für den Moment zu behaupten, und morgen, so hofft er, werden die Dinge sich schon irgendwie von allein regeln. Heute wollte er sich nur um jeden Preis vor Anastasija Kamenskaja behaupten, daran, daß ihn morgen ein gewisser Oberst Gordejew durch den Fleischwolf drehen würde (wovor ihn Anastasija Kamenskaja aufrichtig gewarnt hat), mochte er nicht denken. Die typische Psychologie eines Mörders. Heute beseitige ich den, der mir im Weg steht, morgen werden wir weitersehen. Der Gedanke an die Konsequenz kommt nicht auf.
Zu guter Letzt Jurij Jefimowitsch Tarassow. Sein seltsames, tölpisches Verhalten muß unter zwei Aspekten betrachtet werden.
Annahme eins besteht darin, daß er ein nicht sehr gescheiter und zudem schlecht erzogener Mensch war. Annahme zwei geht davon aus, daß alles, was man über ihn erzählt, erfunden ist. Daß seine drei Kollegen einhellig die Unwahrheit sagen, weil jemand von ihnen ihn umgebracht hat und weil es sich schließlich erwiesen hat, daß das für alle drei von Vorteil ist. Vielleicht wurde der Mord spontan begangen, und dann hat man beschlossen, den Mörder oder die Mörderin zu decken. Vielleicht werden im Zentrum dunkle Geschäfte großen Stils gemacht, und der arglose Jurij Jefimowitsch hat das nicht nur entdeckt, sondern seine Entdeckung auch noch an die große Glocke gehängt. Doch wenn seine Kollegen tatsächlich die Unwahrheit sagen, dann warum ausgerechnet eine Unwahrheit dieser Art? Warum loben sie den Toten nicht über den grünen Klee, beschreiben ihn als großartigen, wunderbaren Menschen, der keine Feinde hatte und über den niemand ein böses Wort sagen kann, warum spielen sie nicht einmütige Trauer vor und raufen sich die Haare? Die Methode ist durchaus üblich und sehr beliebt, so machen es viele. Aber diese drei haben ihren toten Kollegen in den Schmutz gezogen, und sie haben es auf eine so schlaue Weise getan, daß jedem von ihnen ein Motiv für den Mord unterstellt werden kann. Wenn einer von ihnen oder alle drei in den Mord verwickelt sind, dann ist das nicht nur eine sehr raffinierte, sondern auch richtige Taktik. Weil es viel effektiver ist, den Verdacht auf alle drei zu verteilen als von sich abzulenken. Fragt sich nur noch, wer von den dreien so viel Schlauheit besitzt. Ob es Irina ist?
DRITTES KAPITEL
1
Die Märzsonne war blendend hell, wenn man aus dem Fenster in den Himmel blickte, hätte man glauben können, es sei Hochsommer. Ging man allerdings näher an das Fenster heran und sah nach unten, war man sofort desillusioniert. Der Anblick der grauen, schmutzigen Straßen zerstörte alle romantischen Träume und brachte einen auf die sündige Erde zurück.
Vitalij Nikolajewitsch Kabanow, der in bestimmten Kreisen unter dem Spitznamen Lokomotive bekannt war, stand am Fenster und sah nach unten. Er belog sich nie selbst, er blickte der Wahrheit stets ins Auge, wie unangenehm sie auch sein mochte. Offenbar war es diese Eigenschaft, die es ihm erlaubte, alles im Leben Begonnene zu
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