Mit verdeckten Karten
besonderen Unterhaltung sein. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich noch eine Zigarette rauchen, und danach werden Sie mir sagen, ob Sie sich mit mir unterhalten wollen oder es vorziehen, morgen zu Oberst Gordejew in die Petrowka zu gehen.«
»Wie können Sie behaupten, daß ich betrunken bin?« Schulgin schäumte immer noch vor Wut. »Das können Sie nicht beweisen.«
»Doch, das kann ich«, erwiderte Nastja in ruhigem Tonfall, steckte sich eine Zigarette an und verstaute das Feuerzeug wieder in ihrer Tasche. »Bei Ihnen im Haus gibt es eine Sanitätsstelle, ich werde den Arzt rufen, und der wird eine Bescheinigung ausstellen, die dem Untersuchungsführer genügen wird. Und ein Wort von ihm wird ausreichen, um Ihre Karriere in diesem Valutaparadies sofort zu beenden. Es ist eine Sache, still und leise zu trinken, so, daß es niemand bemerkt und man dabei sein Gesicht nicht verliert. Etwas ganz anderes ist es, sich selbst dann nicht beherrschen zu können, wenn man weiß, daß ein Gespräch mit der Kripo bevorsteht. Sie haben sich nicht in der Hand und bauen immer mehr ab, und die Tatsache, daß eine Kripobeamtin gezwungen war, einen Arzt zur Beurteilung Ihres Zustandes zu rufen, wird für sich selbst sprechen. Zwei Minuten, Igor Sergejewitsch, noch zwei Minuten, und ich werde gehen. Sofern Sie es sich nicht doch noch anders überlegen.«
Nach zwei Minuten wickelte Anastasija Kamenskaja einen langen warmen Schal um ihren Hals, knöpfte ihre Jacke von oben bis unten zu und ging über den langen, gewundenen Korridor zum Lift. Igor Sergejewitsch Schulgin hatte kein einziges Wort mehr gesagt.
4
Nach sieben Uhr abends war in der Petrowka 38 noch genausoviel los wie tagsüber. Niemand wunderte sich darüber, daß die Kamenskaja um diese Zeit an ihrem Arbeitsplatz auftauchte, das war normal. Ohne Umweg über ihr eigenes Büro ging sie zum Zimmer von Jura Korotkow und Kolja Selujanow. Die beiden saßen an ihren Schreibtischen und erhoben wie auf Kommando ihre Köpfe, als Nastja zur Tür hereinkam.
»Na, hat es geklappt?« fragten sie wie mit einer Stimme.
»Wollen wir es hoffen!« Ohne ihre Jacke abzulegen, ließ sie sich auf einen freien Stuhl fallen und begann nach ihren Zigaretten zu suchen. »Ich hätte nicht gedacht, daß es so schwierig werden würde. Den halben Tag habe ich die böse Tante Nastja gespielt, damit ihr beiden morgen als die guten Onkels empfangen werdet und die ganze Protokollabteilung sich, aufgelöst in Rotz und Tränen, in eure Arme werfen wird. Da habt ihr mir ja ein schönes Szenario untergeschoben!«
In Wirklichkeit war das Szenario »Böser Polizist – guter Polizist«, das so alt war wie die Welt, diesmal zu einem etwas anderen Zweck eingesetzt worden. Nastja hatte sich nicht die Aufgabe gestellt, Informationen zu sammeln. Sie hatte nur die drei Hauptverdächtigen in Augenschein nehmen wollen, um sich ein Bild über ihren Charakter und ihre Denkweise zu machen. So würde sie das, was Korotkow und Selujanow aus ihnen herausbekommen würden, besser einschätzen können. Und die beiden würden natürlich keine langen, herzergreifenden Gespräche mit den dreien führen, sie hatten ihre eigenen Verhörmethoden und Informationsquellen, auf die sie sich stützen konnten.
Da war also zuerst einmal Irina Koroljowa. Klug, kaltblütig, berechnend. Achtet auf jedes Wort, das sie sagt, verplappert sich nie. Aus irgendeinem Grund sitzt sie auf einem langweiligen, perspektivlosen Posten, obwohl sie eine gute Ausbildung hat und sehr tüchtig ist. Hätte theoretisch alle Möglichkeiten gehabt, Tarassow umzubringen. Das medizinische Gutachten besagt, daß sein Tod gegen 8.45 Uhr eingetreten ist, und zwanzig Minuten später hat die Koroljowa nach ihrer Aussage die Leiche in der Küche entdeckt. Wenn sie die Mörderin ist, hat sie nach der Tat zwanzig Minuten gewartet, bevor sie die Wache anrief. Wäre sie in der Lage, so lange mit einer Leiche allein zu bleiben, besitzt sie dafür die Nerven? Zweifellos. Kann jemand bezeugen, daß sie das Büro wirklich um 8.55 Uhr betrat, wie sie behauptet, oder war es vielleicht zehn, fünfzehn Minuten früher? Nein, das kann niemand bezeugen.
Folgt Swetlana Naumenko. Eine vierzigjährige verblühende Schönheit, die in familiären Schwierigkeiten steckt und fürchtet, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Sie hat schwache Nerven, weint, ihre Hände zittern. Am Tag der Tat kam sie um 9.30 Uhr ins Büro, zu dieser Zeit befanden sich in der Protokollabteilung außer der Koroljowa die
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