Mit verdeckten Karten
gehe ich durch die Unterführung von der Kusnezkaja hinüber zur Tretjakowskaja. Ist das alles? Hast du nichts vergessen?«
»Ich liebe dich«, sagte Platonow dankbar.
»Ich liebe dich auch. Bis gleich.«
Valentina legte den Hörer auf. Platonow blieb ein paar Sekunden nachdenklich vor dem Telefonautomaten stehen, dann ging er zur Kasse und kaufte noch eine Telefonmünze.
»Valja, ich muß dringend wegfahren, eine Dienstreise«, begann er hastig zu sprechen, nachdem der dünne Piepton des Anrufbeantworters im Hörer erklungen war. »Vielleicht komme ich noch kurz zu Hause vorbei, um ein paar Sachen einzupacken, aber wahrscheinlich wird mir die Zeit nicht mehr reichen. Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme. Ich habe es sehr eilig, darum mußte ich das Auto auf der Shytnaja-Straße stehen lassen, vor dem Ministerium. Dort ist es in Sicherheit. Mach dir keine Sorgen, ich werde dich wieder anrufen. Seid umarmt, du und Mischa.«
Er ging wieder hinunter zur Metro und fuhr zurück zum Zentrum. Er stieg an der Tretjakowskaja aus und ging langsam, innerlich die Sekunden zählend, zur Rolltreppe. Er prägte sich die Sekunde ein, in der er die Treppe betrat, und die Sekunde, in der er unten in der Nowokusnezkaja ankam. Dann ging er, seine Rechnung fortsetzend, zu der Seite des Bahnsteigs, auf der Valentina ankommen mußte. Anschließend legte er, um seine Rechnung zu überprüfen, noch einmal den ganzen Weg in umgekehrter Richtung zurück. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß er noch zwanzig Minuten Zeit hatte. Es war nicht ratsam, zwanzig Minuten auf dem Bahnsteig herumzustehen und so womöglich jemandem ins Auge zu fallen. Er beschloß, in die nächstbeste Metro zu steigen, vier Stationen in eine beliebige Richtung zu fahren und dann wieder zurückzukehren.
Nach zwanzig Minuten befand er sich im Strom der Fahrgäste auf der Treppe, die zur Nowokusnezkaja hinabführte. Ein Richtungszeichen besagte, daß diese Treppe nur für den Abstieg bestimmt war, aber auf der linken Seite bahnte sich immer ein dünnes Rinnsal bornierter, widerspenstiger Fahrgäste seinen Weg, weil sie zu faul waren, noch ein paar Schritte weiter zu gehen, zur nächsten Treppe, auf der die Leute aufwärts gingen. Er erblickte Valentina schon von weitem. Sie ging mit gesenktem Kopf, ohne zur Seite zu blicken, was vollkommen normal und angemessen war, da es nicht ungefährlich war, sich in der Stoßzeit gegen die Richtung des vielköpfigen und vielbeinigen Monsters zu bewegen, das sich die Treppe hinabwälzte. Platonow sah sie näher kommen und glaubte sogar, den Duft ihres Parfums wahrnehmen zu können. Ich werde sie nie verlassen können, dachte er aus irgendeinem Grund in diesem für so einen Gedanken völlig unpassenden Moment. Als er mit ihr auf gleicher Höhe war, bewegte er sich ein wenig nach links, streifte sie mit der Schulter und öffnete die Hand, in die sich sofort der weiche, lederbezogene Griff des Diplomatenkoffers schmiegte. Er kam kaum dazu, mit den Fingern sanft über die zarte Handfläche seiner Frau zu streichen. Dann war es vorbei. Noch vor einer Minute, noch vor zwanzig Sekunden war er ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen, der zu einem Treffen mit seiner Frau ging. Jetzt, nachdem er den Koffer entgegengenommen und Valentina hatte gehen lassen, hatte er sich in einen Flüchtling verwandelt, der sich vor der Gerichtsbarkeit versteckte, einen Gesetzlosen.
Dmitrij Platonow spürte es buchstäblich im Rücken, wie Valentina sich von ihm entfernte und mit ihr das normale, rechtmäßige, sich im Tageslicht abspielende Leben. Es war, als sei mit seiner Frau die Grenze verschwunden, die eben noch die eine Welt von der anderen getrennt hatte.
4
Die Luft im Auto war warm und stickig. Andrej Tschernyschew, ein operativer Mitarbeiter der Gebietsverwaltung für Innere Angelegenheiten, war direkt von der Tankstelle gekommen, als er Nastja Kamenskaja von der Petrowka abholte, und im Auto roch es noch deutlich nach Benzin.
»Darf ich das Fenster öffnen?« fragte Nastja vorsichtig und griff zur Kurbel.
»Paß auf, daß du keinen Zug abbekommst«, warnte Tschernyschew, dem der geringste Luftzug sofort in die Glieder fuhr.
»Und wenn schon«, erwiderte Nastja sorglos, »lieber erfrieren als ersticken. Ich ertrage keine schwüle Luft, ich falle in Ohnmacht.«
»Und was machst du, wenn du im Sommer in den Süden fährst?«
»Gar nichts«, erwiderte Nastja achselzuckend.
»Was heißt gar nichts?«
»Ich fahre im Sommer nicht in den
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