Mit verdeckten Karten
warum), oder er hatte nichts von Tarassows Doppelleben gewußt, oder er hatte gar nicht ihn gemeint.
Die andere Variante war, daß Jurij Jefimowitsch nicht für die Roten war, sondern für die Weißen, mit anderen Worten, er war ein ehrlicher, anständiger Mensch und hatte mitnichten für irgendeine Mafia gearbeitet. Dann mußte man davon ausgehen, daß Tarassow . . . Ja, so ging die Sache auf. Jurij Jefimowitsch sucht etwas. Und Dmitrij Platonow ist ehrlich erschüttert von seinem Tod und spricht mit guten, warmen Worten von ihm. Daraus folgt zwangsläufig, daß Tarassow ein Informant von Platonow war. Und daß seine Dienste für Platonow auf irgendeine Weise in Zusammenhang mit dem Maschinenbauministerium standen, mit der Rüstungsindustrie. In diesem Fall mußte man davon ausgehen, daß es zwischen den Morden an Tarassow und Agajew eine Verbindung gab, und wenn Platonow des Mordes an Agajew verdächtig war, dann mußte man annehmen, daß er auch Tarassow umgebracht hatte. Doch warum hätte er einen Informanten, der für ihn arbeitete, aus dem Weg räumen sollen? Auf den ersten Blick war das unlogisch, aber auch dafür konnte es Gründe geben, auch so etwas kam vor. Und dann ergab auch die Bestechungssumme, die Dmitrij von der Firma Artex erhalten hatte, einen Sinn. Er war bei seinen Ermittlungen auf etwas sehr Brisantes gestoßen, und die Mafia hatte ihn gekauft und gezwungen, die Ermittlungen einzustellen und die Spuren zu verwischen. Dazu mußten unter anderem die Mitwisser aus dem Weg geräumt werden. Die Mitwisser namens Tarassow und Agajew.
Und schließlich die dritte Hypothese. Platonow war völlig unschuldig, er hatte weder Bestechungsgelder angenommen noch jemanden umgebracht. Die Geldüberweisung der Firma Artex und die beiden Morde hatten nichts miteinander zu tun, es handelte sich einfach um ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände, die dazu geführt hatten, daß Dmitrij unter sehr massiven Verdacht geraten war.
Zu Hause angekommen, packte Nastja ihre Einkäufe aus und brühte sich Kaffee. Der Rücken tat ihr weh, sie mochte nicht mehr von dem bequemen Stuhl mit der festen Rückenlehne aufstehen. Sie blieb fast zwei Stunden sitzen, in dieser Zeit streckte sie drei Mal die Hand nach dem Herd aus, um das Wasser im Kessel für frischen Kaffee aufzukochen, sie aß ein paar Brote mit Schinken und Käse und beschrieb einige Blätter Papier mit Wörtern und Zeichen, die nur ihr selbst verständlich waren. Der Nebel in ihrem Kopf hatte sich etwas gelichtet, zumindest war ihr nun halbwegs klar, in welcher Richtung sie weitersuchen mußte.
Um acht Uhr erschien Ljoscha Tschistjakow. Er war riesengroß, rothaarig, zerzaust und gutmütig. Wenn man ihn ansah, konnte man sich nicht vorstellen, daß er Doktor der Wissenschaften war, Professor mit einem eigenen Lehrstuhl, daß er Lehrbücher schrieb, die im Ausland erschienen, und zahlreiche internationale Auszeichnungen für seine mathematischen Forschungen erhalten hatte. Für Nastja war er nach wie vor der Ljoscha, der er in der neunten Klasse gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten, obwohl seitdem zwanzig Jahre vergangen waren.
»Tut dir wieder der Rücken weh?« fragte er, als er sah, mit welcher Mühe Nastja sich vom Stuhl erhob. »Hast du wieder schwer getragen?«
»Nicht allzusehr«, sagte Nastja lächelnd, »ich war einkaufen, und die Tasche war etwas schwer.«
»Wirst du eigentlich nie gescheiter, Nastja?«
»Sei nicht böse, Ljoscha, der Kühlschrank war völlig leer, ich mußte eine Menge kaufen.«
Tschistjakow band sich eine Schürze um und begann, frisches Fleisch und Fisch auszupacken. Diese Einkäufe traute er Nastja nicht zu, denn seine Freundin von der Kripo konnte weder frisches Fleisch von gefrorenem unterscheiden noch Dorsch von Kabeljau. Ljoscha nahm diese Tatsachen als gegeben hin, in seinen Augen war es ausreichend für ein normales Familienleben, wenn einer von beiden einkaufen und kochen konnte. Professor Tschistjakow war ein äußerst rationaler Mensch. Und außerdem liebte er Nastja bereits seit zwei Jahrzehnten mit einer zärtlichen, hingebungsvollen Liebe, er hätte sie auch dann geheiratet, wenn sie noch viel mehr Schwächen besessen hätte. Im Grunde spielten die Schwächen keine Rolle, nur die Vorzüge eines Menschen waren von Bedeutung. Mit seinen Schwächen mußte man sich einfach abfinden, das war alles. Nastja war die einzige Frau, mit der er sich nicht langweilte. Ihr unscheinbares Äußeres störte ihn nicht im
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