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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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hatte Platonow nicht zu Hause übernachtet, sondern war zu Lena Russanowa, seiner Geliebten, gegangen. Er war in gedrückter Stimmung gewesen und sprach vom Tod eines guten, edlen Menschen. Wen hatte er damit gemeint? Agajew? Das würde bedeuten, daß er von dessen Tod gewußt hatte. Und wenn er es gewußt hatte, dann woher? Weil er ihn selbst umgebracht hatte? Und am nächsten Tag hatte er im Büro bei Mukijenko ein perfektes Schauspiel gespielt. Oder er hatte mit dem Toten gar nicht Agajew, sondern einen anderen gemeint. Aber wen? Doch nicht etwa Tarassow?
    Wie konnte man herausfinden, ob Tarassow und Platonow einander gekannt hatten? Und was sie miteinander verbunden hatte, wenn es tatsächlich so war?
    Der gestrige Tag hatte ein wenig Klarheit gebracht. Jurij Jefimowitsch Tarassow hatte die drei Schäferhunde nicht aus Angst vor einem unbekannten Feind gehalten, sondern aus Mitleid und Herzensgüte. Und er war kein fanatischer Verfechter von Ordnung und Sauberkeit. Aber wie war dann sein diesbezüglicher Enthusiasmus am neuen Arbeitsplatz zu erklären?
    Wenn man die Sache unter psychologischen Aspekten betrachtete, konnte man zu dem Schluß kommen, daß Jurij Jefimowitsch seine Bedürfnisse den Hunden geopfert hatte, weil er sie mehr liebte als Ordnung und Sauberkeit. Er konnte sich nicht von den Tieren trennen, aber sobald sich ihm die Möglichkeit bot, seine verdrängten Bedürfnisse nach Ordnung und Sauberkeit auszuleben, tat er es, und sein aufgestauter Tatendrang hatte die drei Mitarbeiter der Protokollabteilung in Angst und Schrecken versetzt. Könnte es so gewesen sein? Durchaus, warum denn nicht? Es war sogar naheliegend.
    Aber man konnte an die Sache auch vom kriminalistischen Standpunkt herangehen und die Hypothese aufstellen, daß Jurij Jefimowitsch zu Hause der war, der er wirklich war, und sich am Arbeitsplatz verstellt hatte, indem er die Rolle des gutmütigen, ahnungslosen Naivlings mit edlen Absichten spielte. Der Grund dafür lag auf der Hand. Die Rolle erlaubte ihm, überall herumzuwühlen, in allen Schreibtischen und Regalen, in den Papieren und Aktenordnern. Er war nicht einmal gezwungen, es heimlich zu machen, sich ständig mit verstohlenen Blicken nach der Tür umzusehen, ob jemand hereinkam, er konnte es völlig offen und vor aller Augen tun, ohne sich zu verstecken. In diesem Fall stellte sich natürlich die Frage, was Tarassow so eifrig gesucht hatte, welche Unterlagen oder Gegenstände.
    In der Bäckerei kaufte Nastja außer Brot eine Schokowaffeltorte, drei Päckchen französische Kekse, die Ljoscha so mochte, und zwei Dosen von ihren geliebten Käsebällchen. Sie überlegte einen Moment und nahm noch ein halbes Kilo Halva und ein Päckchen Rosinen in Schokolade mit. Tschistjakow wird mich umbringen, dachte sie mit einem inneren Schmunzeln. Aber was kann ich dafür, daß ich, wenn ich am Computer sitze, am liebsten eine ganze Dose Käsebällchen auf einmal in mich heineinstopfe, um dann den ganzen Tag nichts mehr essen zu müssen. Ich mag eben nicht kochen, so ist es nun einmal, und mit der Umerziehung klappt es auch nicht mehr, in drei Monaten werde ich fünfunddreißig.
    Im Supermarkt angekommen, besann sie sich und begann gewissenhaft Schinken einzukaufen, Räucherfleisch, Karbonade, geräucherte Würste, Käse und Mayonnaise. Endlich, nachdem die Tasche prall gefüllt war, trottete sie wieder nach Hause. Sie spürte, wie ihr Rücken zu schmerzen begann, und kehrte in Gedanken zu den zwei Mordfällen zurück.
    Wenn Tarassow versucht hatte, etwas zu finden, dann stellten sich zwei Fragen. Hatte er gefunden, was er suchte, und hatte man ihn wegen dieses Fundes umgebracht? Aber erst einmal mußte man wissen, was er gesucht hatte. Was konnte es gewesen sein?
    Nastja beschloß, die Fragen erst einmal anders zu stellen. Nach dem Prinzip Rotgardisten und Weißgardisten, Gute und Schlechte. Wenn Jurij Jefimowitsch Tarassow tatsächlich etwas gesucht hatte, dann fragte sich, in wessen Auftrag und für wen er gehandelt hatte. Für irgendeine kriminelle Mafia-Organisation oder für irgendwelche anderen »Schlechten«? Nehmen wir an, daß es so war. Nehmen wir an, daß er es war, um den Dmitrij Platonow an jenem Abend bei seiner Freundin Lena Russanowa getrauert hat. Aber wie geht das damit zusammen, daß Tarassow zu den »Schlechten« gehörte? Hätte Platonow dann so gut von ihm gesprochen? Wohl kaum. Es sei denn, er hatte Lena belogen (obwohl in diesem Fall völlig unklar blieb, wozu und

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