Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
bis fünf Minuten nur an Ihre rechte Körperhälfte. Gehen Sie in Gedanken von Ihrem rechten Fuß, über Unterschenkel und Knie zu den Oberschenkeln, dann die rechte Rumpfhälfte hoch zum rechten Arm, zur rechten Schulter und zur rechten Kopfhälfte. Ihr Körper bewegt sich gar nicht, nur Ihre Gedanken, Ihr Bewusstsein spaziert hoch und dann wieder hinunter. Wandern Sie, wenn Sie oben angelangt sind, wieder nach unten. Sie können auch die ganze rechte Körperhälfte auf einmal ins Bewusstsein nehmen.
Wenn Sie ein paar Mal so gewandert sind, können Sie die Übung beenden und beide Körperhälften vergleichen. Beschreiben Sie genau den Unterschied: Wie fühlt sich die rechte Seite im Vergleich zur linken an?
Erst danach machen Sie diese Übung der Aufmerksamkeitslenkung mit der linken Seite.
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Unser Bewusstsein hat schöpferische Kraft, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Die göttliche Qualität, etwas Unlebendiges zum Leben zu erwecken und ihm Atem einzuhauchen, ruht auch in uns. In der systemischen Therapie heißt es: Die Qualität des Erlebens hängt von der Fokussing der Aufmerksamkeit ab, wie Sie auch schon bei der Drehübung in Kapitel 1 spüren konnten. Im Yoga sagt man: Der Atem folgt dem Bewusstsein. Vielleicht haben Sie gespürt, dass alleine das Denken an bestimmte Körperteile etwas auslöst. Neben den Körperübungen und dem Atem ist das Bewusstsein die dritte Energiequelle, die durch Yoga trainiert wird. Wenn wir fest an ein Ziel glauben und uns von Hindernissen nicht abbringen lassen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir es erreichen. Wenn wir uns aber immer wieder selbst unsere Fehler vorhalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, weitere Fehler zu machen. Wenn wir uns stattdessen unserer Lernfähigkeit bewusst sind, werden wir diese besser nutzen können.
In China kursiert schon seit vielen Jahrhunderten eine Geschichte in fünf bis zehn Bildern, in der das Bewusstsein mit einem Ochsen verglichen wird. Es gibt verschiedene Übersetzungen dieser Geschichte und Kommentare dazu. Wenn man auf das Wesentliche schaut, ähneln sie sich jedoch sehr. Der Ochse steht mal für das Selbst, mal für den inneren Wesenskern oder das Selbst-Bewusstsein.
Der Ochse und sein Hirte
Das erste Bild stellt die Suche des Hirten nach dem Ochsen dar. Er spürt, dass ihm etwas Wichtiges fehlt und begibt sich auf den Weg. Im zweiten Bild entdeckt er die Spur des Ochsen. Ihm wird etwas bewusst, das er aber noch nicht greifen kann. Seltene und flüchtige Momente lassen eine Ahnung aufsteigen, was der richtige Weg sein könnte. So kann man z. B. nach einer Yoga-Übung oder einer Meditation ein wunderbares Gefühl von Freiheit und Verbundenheit erleben; wenn man es jedoch halten oder noch einmal neu erzeugen will, entgleitet es wieder. Im dritten Bild nimmt der Hirte den Ochsen wahr. Ein Aha-Erlebnis stellt sich ein, es wird etwas erkannt. Im vierten Bild gelingt es dem Hirten, den Ochsen einzufangen. Diese Fähigkeit nennen wir in der Psychologie Selbstwirksamkeit . Es gibt einen Punkt, an dem klar wird: Wenn ich etwas Bestimmtes will, muss ich dies tun und jenes lassen. Im fünften Bild wird der Ochse gezähmt; es gelingt dem Hirten, das wilde und ungestüme Verhalten des Ochsen dem eigenen Willen zu unterwerfen. Die Erkenntnis, was notwendig ist, wird durch Disziplin und Ausdauer ins konkrete Tun übersetzt; Unlust, Ablenkungen oder andere Hindernisse können überwunden werden. Im sechsten Bild reitet der Hirte auf dem Ochsen heim; nun ist kein Kampf mehr nötig, es kann Entspannung aufkommen. Im siebten Bild löst sich die Zweiheit von Ochse und Hirte auf, der Ochse ist verschwunden. Das, was zur Ganzheit fehlte, war immer schon da. Im Zustand des reinen Seins gibt es keine Sehnsucht und kein Verlangen mehr, weil alles oder nichts da ist. Im achten und neunten Bild werden die Erfahrungen im Zustand der Erleuchtung poetisch beschrieben, im letzten, zehnten Bild kommt der Hirte zurück zum Marktplatz des Lebens, die innere Verwandlung ist spürbar, er strahlt Güte aus, die Mitmenschen fühlen sich reich beschenkt durch ihn. 31
Die Geschichte vom Ochsen und seinem Hirten stellt innerseelische Prozesse in einer anschaulichen, symbolischen Form dar. Im Abschnitt »Eine ganzheitliches, systemisches Bewusstsein« in diesem Kapitel wurde bereits erwähnt, dass das Hatha-Yoga dem Yoga der Disziplin, dem Raja-Yoga oder auch Königs-Yoga, zugeordnet wird. So wie ein Ochse widerspenstig mal nach rechts oder links
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