Mit Zähnen und Klauen: Horror-Thriller von Bestseller-Autor Craig DiLouie (German Edition)

Soundso viele Millionen werden sterben, soundso viele überleben. Sie kennen diese Sprache also bereits und beherrschen sie fließend. Solange wir am Ende die Oberhand behalten, richtig? Aber klar, es sind ja nicht ihre Familien, die draufgehen – oh nein, nicht ihre!
    Die Ökos werden dann mitziehen, von wegen es sei in Ordnung und ein Bärendienst an der Umwelt. Die Weltbevölkerung wird auf ihre Größe vor Christi Geburt geschrumpft, sodass sich der Planet erholt und wiederauflebt, während der Mensch fortan im Einklang mit Mutter Natur lebt. Wir sind das eigentliche Virus hier, vermehren uns und konsumieren, bis wir den Wirt zerstört haben, der uns nährt. Wir müssen dieser Welt ein Ende bereiten, um sie zu retten, was? Natürlich, in der Theorie sieht das alles ganz hübsch aus, solange das große Sterben nicht in der eigenen Familie losgeht !
    Lewis hält es für das Schlauste, an Ort und Stelle zu bleiben, auf dass die Air Force zur Abwechslung einmal etwas für ihren Sold leistet, indem sie die Versorgung wiederherstellt und dann Patrouillen aussendet, die tief in die Bezirke vorstoßen und jeden Tollwütigen über den Haufen ballern, den sie sehen. Jeder Tote bedeutet eine Unterbrechung der Infektionskette und verbessert ihre Chancen ein wenig.
    Und in der Zwischenzeit, mobilmachen: Man gebe auch dem letzten Arsch ein Gewehr und ausreichend Munition zur Hand, eine kurze Gebrauchsanweisung dazu und eine einmonatige Lizenz zum Töten.
    Doch Lewis kennt die Army und weiß, dass sie so etwas nicht tun wird. Er geht vielmehr davon aus, die Army reagiere auf den ersten Nasenstüber, den ihr die Tollwütigen verpasst haben, indem sie alle Glieder in ihren Schildkrötenpanzer zurückzieht. Statt den Feind zu schlagen, solange er in einzelnen Zellen agiert, gestattet ihm das Militär, selbst eine Armee aufzubauen, welche die menschliche Rasse vom Angesicht der Erde hinwegfegen und den Planeten wieder den Blümchen und Bienchen überlassen wird.
    Etwas bewegt sich unten auf der Straße. Lewis späht durch sein Zielfernrohr und entdeckt eine Frau mit ihrem Kind an der Hand. Die zwei sehen so anmutig aus, dass er kurz an seine Frau Sara und ihren Sohn Tucker denkt, die ihm so weit entrückt sind, dass sie genauso gut auf dem Mond weilen könnten. Die Mutter ist noch jung, Mitte 20, und hat langes, blondes Haar sowie einen schlanken, sportlichen Körper im engen T-Shirt über einer Jeans, während die Tochter, vielleicht sieben Jahre alt, praktisch ihrem jüngeren Ebenbild entspricht.
    Ich werde euch beschützen , denkt er sich. Auf dieser Straße seid ihr sicher. Geht in Frieden .
    Er blinzelt, sieht wieder hin. Die Mutter wurde in den Arm gebissen. Sie hat die Wunde hastig verbunden, sodass ein Stück der Bandage, das sich gelöst hat und fast schwarz vor getrocknetem Blut ist, hinter ihr her weht. Sie ist im Grunde schon tot. Ihm bleibt jetzt nur noch eines zu tun: sie davon abzuhalten, wer weiß wie viele andere mit sich ins Grab zu reißen.
    Er zielt und bereitet sich auf den Schuss vor, zaudert aber mit dem Finger am Abzug. Wenn er die Mutter umbringt, bleibt das Mädchen schutzlos. Auf diesen Straßen wird sie keine fünf Minuten überleben.
    Die Mutter wurde aber nun einmal gebissen. Erschießt er sie nicht, wird sie später tollwütig und tötet oder infiziert ihren eigenen Spross.
    Er weiß nicht, wie er sich entscheiden soll. Da fällt ihm die Geschichte über König Salomo aus der Bibel ein: Zwei Frauen streiten sich um ein Kind, und die Lösung des Herrschers besteht darin, den Zankapfel mit dem Schwert zu teilen. Als eine der Frauen fleht, dies nicht zu tun und den Kleinen stattdessen der anderen zu überlassen, weiß Salomo sofort, dass sie die echte Mutter ist, und gibt ihr das Kind.
    Der intelligenteste Zug, mit dem er in jedem Fall auf der sicheren Seite ist, besteht darin, beide zu killen.
    Ein Gedanke drängt sich ihm auf: Wir müssen dieser Welt ein Ende bereiten, um sie zu retten.
    Jetzt verwehrt ihm die Ecke des Gebäudes die Sicht auf Mutter und Tochter.
    Nachdem er das Gewehr aufgegriffen und derbe über seine eigene Unkonzentriertheit geflucht hat, rennt er auf die andere Dachseite und richtet die Waffe schnell auf dem Stativ aus. Er findet das Paar wieder, verfolgt den Hinterkopf der Frau mit dem Lauf … und atmet aus.
    In der Theorie sieht das alles ganz hübsch aus, solange das große Sterben nicht in der eigenen Familie losgeht.
    Lewis lässt den Abzug los. Er bringt es nicht