Mitch - Herz im Dunkeln
Gesicht. Er fühlte sich elend. Wie unfassbar selbstsüchtig er doch gewesen war!
„Nein?“ Sie hob ebenfalls die Stimme. „Verdammt, ich weiß, dass du nicht blöd bist. Du musst gewusst haben, dass Casey früher oder später auftauchen würde.“
Er war nicht Casey Parker. Das vermutete er schon seit einer ganzen Weile. Der Name hatte kein bisschen vertraut geklungen. Trotzdem hatte er es irgendwie doch gehofft.
Und wie er es gehofft hatte. Aber Hoffnung allein reichte nicht. Nicht mehr.
Und was jetzt?
Obwohl er ihr den Rücken zugekehrt hatte, konnte er sie in dem großen Spiegel über der Frisierkommode sehen. Sie sah ihn mit einem solch schmerzlichen Gesichtsausdruck an, so vorwurfsvoll.
Aber er konnte ihr die Wahrheit immer noch nicht sagen. Er durfte niemandem verraten, warum er hier in New Mexico war. Weshalb es niemand wissen durfte, daran konnte er sich nicht erinnern. Doch in ihm war diese tiefe Überzeugung, dass er mit keinem Menschen darüber sprechen durfte. Allerdings konnte er Becca auch nicht einfach glauben lassen, er hätte sie absichtlich getäuscht. Das hatte sie nicht verdient.
Von Schuld gebeugt stand er da und überlegte, was um alles in der Welt er nun tun sollte.
„Weißt du“, begann sie mit ebenfalls zitternder Stimme, „ich hätte dich auch so eingestellt. Wenn du mir gegenüber ehrlich gewesen wärst und mir gesagt hättest, wer du wirklich bist, hätte ich dich trotzdem genommen. Ich begreife nicht, warum du mich anlügen musstest.“
Was konnte er ihr sagen? „Vielleicht sollte ich lieber gehen. Ich kann dir nicht sagen, was du hören möchtest.“
Sie schien kaum glauben zu können, was sie da hörte. „Du kannst mir deinen Namen nicht verraten?“
Er drehte sich zu ihr um und erkannte, dass sie weinte. Mit brüsker, beinah grober Geste wischte sie die Tränen fort, während sie gleichzeitig die Decke festhielt.
„Nenn mich meinetwegen altmodisch“, sagte sie in scharfem Ton, „aber ich weiß gern wenigstens den Namen des Mannes, mit dem ich geschlafen habe.“
Sein Name. Mitch betrachtete sein eigenes Gesicht im Spiegel.
Noch immer war er auch sich selbst ein Fremder, mit einem markanten Gesicht, die Haare vom Schlaf zerwühlt, einen bitteren Ausdruck in den Augen. Er sah tatsächlich aus wie ein Mann, der eine Frau ins Bett bekam und sie am nächsten Morgen einfach verließ, ohne die geringste Rücksicht auf ihre Gefühle zu nehmen.
Er sah in diese Augen und flehte im Stillen wenigstens um einen Funken Erinnerung, irgendetwas, einen Namen vielleicht, ein Bruchstück der Wahrheit, das er Becca anvertrauen konnte.
Mitch.
Mission Man.
„Verrate mir wenigstens deinen Namen“, flüsterte Becca.
Er erinnerte sich daran, wie Jarell ihn genannt hatte. Wut und Frustration stiegen in ihm auf.
Mission Man.
„Ich kenne meinen verdammten Namen nicht!“, platzte er heraus und versetzte seinem Spiegelbild einen Fausthieb.
Der Spiegel zerbrach und mit ihm das Bild. Mitch schlug noch einmal zu, sodass der Spiegel völlig zersplitterte. Das Glas schnitt ihm in die Hand.
Becca erschrak über den Ausbruch dieses plötzlich fremden Mannes mit den weit aufgerissenen Augen, dem das Blut von den Fingerspitzen auf den Teppich tropfte.
„Ich habe keine Ahnung, wer ich verdammt noch mal bin!“, rief er heiser. „Vor knapp zwei Wochen bin ich in einem Obdachlosenasyl aufgewacht. Bei mir hatte ich fünftausend Dollar, eine Pistole und eine Wegbeschreibung zur Lazy Eight Ranch mit deinem Namen darauf. Ich konnte mich an nichts Wesentliches mehr erinnern, nicht einmal an meinen eigenen Namen! Du meinst, ich bin nicht Casey Parker? Weißt du was? Das sind auch für mich Neuigkeiten!“
Becca hielt die Decke fest umklammert und beobachtete ihn misstrauisch. Sie sah aus, als sei sie bereit zur Flucht, falls er ihr zu nahekommen sollte. Konnte das, was er da von sich gegeben hatte, die Wahrheit sein? Litt er tatsächlich an einer Art Amnesie? Es klang verblüffend. Dennoch …
Er stand da, zitternd wie ein verwundetes Tier, mit Tränen in den Augen. Er brachte es nicht fertig, sie anzusehen. „Gib mir meine Hose, dann verschwinde ich.“
„Wohin?“, fragte sie leise und mit pochendem Herzen. Sie war schrecklich wütend auf ihn gewesen. Aber was, wenn er die Wahrheit sagte?
Er sah sie an. Sein Blick verriet, dass er nicht verstand.
„Wohin wirst du gehen?“
Er schüttelte den Kopf, zu aufgebracht, um ihr auch nur zu antworten. Eine Träne lief ihm die Wange
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