Mitch - Herz im Dunkeln
hinunter, und er wischte sie fort. Nein, das kann nicht alles gespielt sein, dachte Becca. Mitch war genauso aufgewühlt wie sie. Aber das hieß auch, dass er unbedingt Hilfe brauchte.
Und wenn nicht … Als er auf der Ranch auftauchte, hatte er eine Kopfverletzung gehabt. Inzwischen war sie schon wieder größtenteils verheilt. Doch konnte diese Verletzung durchaus dazu geführt haben, dass er sein Gedächtnis verlor, oder?
Becca versuchte sich vorzustellen, wie das wohl war, wie beängstigend und schrecklich. Wie einsam und verlassen man sich in einer solchen Situation fühlen musste.
Wie dem auch sei: Sie musste ihn zu einem Arzt bringen. Sie musste ihn davon überzeugen, mit ihr zum Krankenhaus zu fahren.
„Wenn du nirgendwohin kannst, macht es doch gar keinen Sinn, einfach zu gehen“, argumentierte sie mit ruhiger Stimme, als spreche sie mit einem verängstigten Pferd. Ihr war klar, dass sie ihn zuallererst beruhigen musste. Danach musste sie herausfinden, ob er immer noch im Besitz der Waffe war, von der er ihr erzählt hatte. Pistolen und Aufgewühltheit passten nicht gut zusammen.
Sie ging zu ihm und streckte die Hand nach ihm aus. „Komm mit ins Badezimmer, damit ich mir mal deine Hand ansehen kann. Sie blutet.“
Mitch schaute an sich herunter, als bemerke er die Verletzung erst in diesem Moment. Er richtete den Blick auf den Spiegel, dann sah er sie an. „Es tut mir leid, Becca.“
„Komm“, forderte sie ihn auf. „Lass uns wenigstens sichergehen, dass die Wunde nicht genäht werden muss. Danach können wir gemeinsam überlegen, was wir nun machen.“
„Ich sollte verschwinden. Ich lasse dir Geld für den Spiegel da …“
„Nein. Ich will, dass du bleibst.“
Er wollte widersprechen, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Bleib“, wiederholte sie. „Ich finde, wenigstens das bist du mir schuldig.“
Mitch nickte. Für eine potenziell verrückte Person war sein Blick bemerkenswert fest. „Glaubst du mir?“
Sie wandte sich ab und führte ihn ins Badezimmer. „Ich arbeite noch daran.“
10. KAPITEL
B ecca hatte sich angezogen. Jeans und T-Shirt. Sie setzte sich Mitch gegenüber, zog die Beine an sich und betrachtete ihn.
Mitch trug inzwischen auch wieder seine Hose, doch genau wie Becca war er barfuß. Das Hemd, das er gestern Abend getragen und das sie ihm ausgezogen hatte, war offen. Er schaute auf seine bandagierte Hand und gab sein Bestes, um Beccas Fragen zu beantworten.
Davon, dass er in dem Obdachlosenasyl aufgewacht war, hatte er ihr schon erzählt. Auch von dem alten Mann, der ihm den Namen „Mission Man“ gegeben hatte und davon, dass ihm der Name „Mitch“ irgendwie richtig und zugleich falsch vorgekommen war. Er erzählte ihr von seiner Verwirrung und dem Schock beim Anblick des fremden Gesichts im Spiegel. Er versuchte in Worte zu fassen, was für ein Gefühl es war, sich an nichts außer ein paar belanglose Dinge aus der eigenen Vergangenheit zu erinnern. Und er entschuldigte sich erneut dafür, sie getäuscht zu haben.
Schließlich räusperte Becca sich. „Du erwähntest eine Pistole.“
Er sah sie an und versuchte nicht mehr daran zu denken, wie sie nackt auf dem Bett gelegen hatte. Es war verrückt. Sie hatten zweimal miteinander geschlafen, letzte Nacht und früh am Morgen, und noch immer verzehrte er sich nach ihrer Berührung. Er wollte immer noch mehr.
Nur würde es vermutlich nie wieder dazu kommen.
Jetzt räusperte er sich. „Stimmt. Eine kleine Handfeuerwaffe, Kaliber zweiundzwanzig. Sie befand sich in meinem Stiefel, zusammen mit dem Bargeld und dem Faxpapier, auf dem die Wegbeschreibung zur Ranch stand.“
„Wo ist die Waffe jetzt?“
„Auf der Ranch, in meinem Spind. Mir war nicht wohl dabei, sie ständig bei mir zu tragen. Mal abgesehen davon, dass es vermutlich nicht legal ist.“
Becca nickte und versuchte, nicht allzu erleichtert auszusehen.
Mitch konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. „Es hätte dich ziemlich nervös gemacht, was? Die Vorstellung, dass ich mit einer Waffe herumlaufe?“
Sie schaute unwillkürlich zum zerbrochenen Spiegel und antwortete ehrlich: „Tut mir leid, aber du hast recht.“
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Wenn es andersherum wäre …“
„Wenn es andersherum wäre, hätte ich mich längst freiwillig in ein Krankenhaus begeben.“
Mitch lehnte sich zurück. „Das kann ich nicht.“
„Natürlich kannst du das.“ Sie beugte sich vor. „Ich werde mitkommen und bei
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