Mitch - Herz im Dunkeln
dir bleiben. Die Ärzte werden …“
„Die werden die Polizei benachrichtigen“, beendete er den Satz für sie. „Das ist ihre Pflicht. Ich wurde angeschossen, Becca. Das müssen sie melden.“ Er zögerte. Himmel, warum sollte er es ihr nicht erzählen? Er hatte ohnehin schon zu viel von sich preisgegeben, da kam es darauf auch nicht mehr an. „Die Wahrheit ist, dass ich höchstwahrscheinlich jemand bin, den du lieber nicht kennen würdest. Ich hatte diese Träume …“ Ihr davon detailliert zu berichten wäre zu viel des Guten. Die grässlichen Bilder hatten ihn verfolgt. Er wollte ihr ersparen, dass sie ebenfalls von ihnen heimgesucht wurde. „Es waren gewalttätige Träume. Sehr gewalttätig.“
„Was heißt das schon. Ich hatte auch mal schreckliche Träume und …“
„Nein. Diese Bilder – es sind Dinge, die ich gesehen habe. Zumindest einige davon. Außerdem habe ich noch geträumt vom …“
Er mied ihren Blick. „Vom Gefängnis. Ich habe gesessen, Becca. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so detailliert davon geträumt hätte, wenn ich nicht tatsächlich im Gefängnis gewesen wäre.“
Sie schwieg.
„Ich fürchte, wenn ich tief genug grabe und mich an meine Vergangenheit erinnere, werde ich feststellen, dass ich kein allzu guter Mensch gewesen bin.“ Er sprach mit leiser Stimme. „Also lass uns zur Ranch zurückkehren. Mit etwas Glück werde ich Casey Parker dort treffen. Dann kann ich ihm das Päckchen geben und ihn fragen, was sein Fax in meinem Stiefel zu suchen hatte. Durch ihn finde ich vielleicht ein paar Antworten. Anschließend werde ich meine Sachen packen, und du wirst mich für immer los sein.“
Becca zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum.
„Ich kann auch jetzt gehen“, fuhr er fort, „wenn es dir lieber ist. Irgendwie werde ich schon zur Ranch kommen. Ich werde dafür sorgen, dass ich bis zu deiner Rückkehr am Dienstag verschwunden bin.“
Er konnte innerhalb von Minuten dieses Zimmer verlassen, und Becca würde ihn nie wiedersehen. Wie kam er nur auf die Idee, dass sie das wollte?
Tränen brannten in ihren Augen, und sie kämpfte wütend dagegen an. Sie stand auf, weil sie keine Minute länger stillsitzen konnte. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn der Raum größer gewesen wäre. Aber insgeheim wusste sie, dass die Anziehung auch dann nicht nachgelassen hätte, wenn sie sich in einem riesigen Stadion befunden hätten.
„Warum hast du mir das alles nicht schon gestern Abend erzählt?“, wollte sie wissen und trat ans Fenster. „Auf dieser Veranstaltung haben wir uns stundenlang unterhalten. Da hattest du doch Gelegenheit genug dazu, das Thema anzuschneiden.“
Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Du hättest zum Beispiel einfach sagen können: Da du gerade von deiner Kindheit in New York sprichst, Becca – tja, ich kann mich nämlich an meine überhaupt nicht erinnern. Bis ich auf deiner Ranch aufgetaucht bin und du mich Casey Parker nanntest, kannte ich nicht einmal meinen Namen …“
Auch seine Augen waren gerötet. „Hättest du mir geglaubt, wenn ich dir eine solche Geschichte gestern erzählt hätte?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht. Schließlich glaube ich dir jetzt auch.“
„Hm, tust du das?“
Sie stieß die Luft aus, und es klang fast wie ein Lachen. „Keine Ahnung. Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich denke: Wie bitte, Amnesie? Aber es klingt so verrückt, dass es einfach wahr sein muss.“ Ihr fiel kein Grund ein, weshalb er sich diese sonderbare Geschichte ausgedacht haben sollte. Damit bekam man keine Frau ins Bett. Mal ganz zu schweigen davon, dass er das ja schon geschafft hatte.
Die Wahrheit lautete schlicht: Sie glaubte ihm. Sie vertraute ihm auf eine Weise, die jenseits jeder Vernunft lag. Auch wenn er von sich selbst glaubte, im Gefängnis gesessen zu haben und ein Krimineller zu sein, hatte sie tiefstes Vertrauen zu ihm. Möglicherweise lag es nur am Sex. Vielleicht blockierten ihre Hormone ihren Verstand. Wenn Liebe blind machte, welche Wirkung konnte pure Lust dann auf die übrigen Sinne haben?
Doch wenn sie in seine Augen schaute, glaubte sie Mitch, ob sie es nun wollte oder nicht.
Möglicherweise war er ein Krimineller oder gar ernsthaft psychisch krank. Vielleicht würde sie sich fürchterlich die Finger verbrennen. Aber ihr blieb gar nichts anderes übrig, als diese Sache gemeinsam mit ihm durchzustehen. Sie würde mit ihm zusammen die Fakten finden. Vielleicht würde sie dann dumm dastehen,
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