Mitch - Herz im Dunkeln
unterbrach Becca ihn und gab sich Mühe, ganz gefasst zu klingen, trotz ihres Herzklopfens.
Seine Augen leuchteten im frühen Abendlicht. „Möchtest du das wirklich? Obwohl du weißt, wer ich bin?“
Sie nahm seine Hand. „Das klingt, als seist du davon überzeugt, irgendein Monster zu sein. Warum? Nur weil du eine Pistole und Bargeld bei dir hattest? Dein Waffenschein könnte in deiner Brieftasche sein, die gestohlen wurde. Klar, der Streifschuss an deinem Kopf dürfte ein bisschen schwieriger zu erklären sein. Aber es wäre doch möglich, dass du einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort warst.“
„Becca …“
„Na schön, du hast vom Gefängnis geträumt. Ich habe schon so viele Filme gesehen, dass ich auch reichlich von Gefängnissen hätte träumen können. Träume sind bloß Träume, Mitch. Sie sind nicht dasselbe wie Erinnerungen. Manchmal träume ich, dass mir die Zähne ausfallen. Das ist ein typischer Traum, ein Symptom für zu viel Stress. Zum Glück hat er mit der Wirklichkeit nichts zu tun.“ Sie holte tief Luft. „Also ja, ich will, dass wir uns ein Zimmer teilen. Ein Zimmer mit Dusche, einer Pizza und einem Sixpack Bier. Wir schließen uns ein und vergessen all das hier für ein paar Stunden. Für jemanden mit Gedächtnisverlust bist du ja nicht besonders gut im Vergessen.“
Mitch grinste, und ihr Herz schlug schneller. Aber dann erlosch sein Lächeln. „Und wenn sich nun doch herausstellt, dass ich ein übler Bursche bin? Was, wenn ich ein Mörder bin? Ein Auftragskiller?“
Becca musste lachen. „So was kann auch nur einem Mann einfallen, dass er sich vorstellt, sich mitten in einem Clint-Eastwood-Film zu befinden. Was ist mit dem Kerl da drüben? Siehst du ihn? Der in den Van mit den getönten Scheiben steigt?“ Sie zeigte auf einen Wagen, der ein Stück weiter die Straße hinunter stand.
Ein Mann mit kurzen braunen Haaren und einem Stacheldraht-Tattoo am Oberarm stieg gerade hinten in den Van. Er trug ein Papptablett mit drei großen Bechern Kaffee. Ein anderer Mann, blond und gut aussehend wie ein Filmstar, verließ den Wagen.
Der Blonde strahlte die Lässigkeit eines Rodeostars aus. Aber er trug Turnschuhe statt Cowboystiefel und eine schlabbrige Cargohose statt einer Jeans. Sein offenes Hemd gab den Blick frei auf eine muskulöse, sonnengebräunte Brust. Er bewegte den Kopf hin und her, als müsste er irgendwelche Verspannungen loswerden, während er die Straße überquerte und auf die „Endstation“ zuging. Der Name der Kneipe spielte vermutlich nur auf die Nähe des Busbahnhofs an und hoffentlich nicht darauf, dass sich das Schicksal so mancher Gäste dort erfüllte.
„Die warten nicht auf den Bus aus Las Vegas, weil die Frau des kleineren Kerls dort ihre Schwester Inez, die Tänzerin im ‘Ceasars Palace’ ist, besucht hat“, vermutete Becca. „Nein, wahrscheinlich sitzen die dort in dem Van, weil sie auf der Suche nach dir den Busbahnhof observieren. Stimmt’s?“
Mitch beobachtete den Mann, der die Bar betrat. Er kniff die Augen zusammen und schaute genauer hin.
„Mitch.“ Becca umfasste sein Kinn, damit er sie ansah. Sie küsste ihn sanft auf den Mund, um seine ganze Aufmerksamkeit zu bekommen. „Und was, wenn du nun kein Auftragskiller bist? Sondern, sagen wir, UPS-Mann? Lieferwagenfahrer? Oder Vertreter für Waschmaschinen und Trockner? Oder du machst so etwas Abenteuerliches wie Frischfisch in Städte wie Las Cruces und Santa Fe liefern?“
Er grinste, und Becca schloss die Tür ihres Pick-ups auf. „Wenn du willst, können wir ein wenig durch die Gegend fahren. Vielleicht weckt irgendetwas deine Erinnerung.“
Mitch war einverstanden und sah erneut zu dem Van vor dem Busbahnhof. „Ja, keine schlechte Idee.“
Becca stieg in den Wagen, startete den Motor und schaltete die Klimaanlage ein. Es war sehr heiß.
Mitch schwang sich auf den Beifahrersitz und nahm ihren zerbeulten Cowboyhut, der zwischen den beiden Sitzen lag. Er setzte den Hut auf und zog ihn tief ins Gesicht.
Als sie den Van passierten, rutschte er tiefer in den Sitz.
„Heute bin ich mal eine echte Informationsquelle“, verkündete Wes, als Lucky nach einem kurzen Ausflug in die Kneipe zurückkehrte. „Der Captain rief an, als ich ein Nickerchen hielt. Keine Ahnung, wie er das macht, aber irgendwie scheint er immer zu wissen, wann ich schlafe.“
„Deshalb ist ja auch er Captain und du nicht“, entgegnete Bobby. „Er weiß genau, wann du schläfst und wann du wach bist
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