Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
Vom Netzwerk:
stellen.

    Verborgene Schlüsselreize. Manchmal reagiert ein Empfänger überraschend und unverständlich – für den Sender und zuweilen auch für sich selbst. Was ist passiert? Es hat eine «psycho-chemische» Reaktion stattgefunden mit einer Nachrichten-Komponente, die der Sender in seiner eigenen Nachricht gar nicht vermutet hätte oder auf die er das Schwergewicht seiner Äußerung nicht hat legen wollen.
    Beispiel: Ich erinnere mich an einen kleinen Vorfall in meiner Familie, als ich noch halbwüchsig war. Mein Onkel bot mir eine Zigarette an. Ich war Nichtraucher aus Überzeugung. Bevor ich auf dieses Angebot reagieren konnte, griff meine Mutter ein mit den Worten (an meinen Onkel gewandt): «Nein, bitte nicht! Wir sind so froh, dass er nicht raucht!» Ich fühlte mich wütend und irgendwie gedemütigt, ohne mir selber meine Reaktion erklären zu können. Ich war doch selbst der Meinung meiner Mutter, wollte nicht rauchen und das Angebot ablehnen. Da mir mein Gefühl nicht «logisch» vorkam, habe ich mich gehütet, es auszusprechen. Aus heutiger Sicht ist mir natürlich klar, dass eine kleine Begleitbotschaft auf der Beziehungsseite zum «Schlüsselreiz» für meine Reaktion geworden war, nämlich die Beziehungsbotschaft: «Ohne meine Hilfe wirst du dich gegen die verführerische Welt nicht wehren können!» Mit ihrer gut gemeinten Intervention nahm sie mir ein Stück Autonomie.
    Ganz ähnlich berichten Kraußloch u.a. (1976) aus ihrer «Jugendarbeit zwischen Kneipe und Knast», dass scheinbar «unmotivierte» Aggressionen von Jugendlichen gegenüber «friedlichen Bürgern» oft durch kleine Signale ausgelöst werden: Kopf- oder Handbewegungen oder ein kurzer «abfälliger» Blick werden von den Jugendlichen als Beleidigung empfangen: «Gestik und Mimik des Bürgers sind Signale, die die Jugendlichen im wahrsten Sinne ‹explodieren› lassen. Sie sind der Funke, der den Aggressionskreis schließt.» (S. 110) – Allein die Kleidung des «feinen Pinkels» ist eine Provokation, ruft des Jugendlichen Minderwertigkeitsgefühl wach.
    Wir verstehen hier das Anliegen der Kommunikationspsychologie, sog. Neurosen und Verhaltensstörungen nicht (nur) als individuelle Eigenart, als Charaktermerkmal zu begreifen, sondern als Resultat einer Interaktion – einer zwischenmenschlichen Wechselwirkung. Unter der kommunikationspsychologischen Lupe (vgl. Abb. 5, S. 34) kommen u.U. die verborgenen Schlüsselreize zum Vorschein.
    2.
    Drei Empfangsvorgänge auseinanderhalten
    Aus dem Beispiel ergibt sich, dass es drei verschiedene Vorgänge sind, aus denen sich die innere Reaktion des Empfängers aufbaut:

    Für die innere Klarheit des Empfängers und für seine Fähigkeit zum Feedback ist diese Unterscheidung von großer Bedeutung.
    Wahrnehmen heißt: etwas sehen (z.B. einen Blick) oder hören (z.B. die Frage: «Was ist das Grüne in der Suppe?»).
    Interpretieren heißt: das Wahrgenommene mit einer Bedeutung versehen – z.B. den Blick als «abfällig» deuten oder die Frage nach dem Grünen in der Suppe als Kritik.
    Diese Interpretation kann richtig oder falsch sein .
    Wohlgemerkt, es geht nicht darum, Interpretationen zu vermeiden. Dies ist weder möglich noch wünschenswert, denn erst die Interpretation eröffnet die Chance, das «Eigentliche» zu verstehen. Vielmehr geht es um das Bewusstsein, dass es sich um eine Interpretation handelt – und daher richtig oder falsch sein kann.
    Fühlen heißt, auf das Wahrgenommene und Interpretierte mit einem eigenen Gefühl antworten, wobei die eigene seelische «Bodenbeschaffenheit» mit darüber entscheidet, was für ein Gefühl ausgelöst wird (z.B. Wut angesichts des «abfälligen Blickes»). Dieses Gefühl unterliegt nicht der Beurteilung richtig oder falsch, sondern ist eine Tatsache.
    In der Regel sind wir wenig geübt, diese drei Vorgänge in uns auseinanderzuhalten: sie verschmelzen zu einem Kuddelmuddel-Produkt.
    Beispiel: Eine Frau berichtet ihrem Mann über eigene Pläne. Als er die Stirn ein wenig runzelt, versetzt sie erzürnt: «Nun mach doch nicht gleich wieder so ein angewidertes Gesicht!»
    Ihre Rückmeldung ist ein Verschmelzungsprodukt aus Wahrnehmung, Interpretation und eigenem Gefühl (s. Abb. 31).

    Abb. 31:
    Die Rückmeldung als ein Verschmelzungsprodukt dreier Vorgänge im Empfänger.
    Warum ist es so wichtig, diese inneren Vorgänge zu sortieren? Damit der Empfänger sich darüber im Klaren ist, dass seine Reaktion immer seine Reaktion ist –

Weitere Kostenlose Bücher