Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
dein neues Kleid nicht leiden.» Hinter vielen sachlichen Fragen tarnt sich oft der Meinungsgegner.
«Es». Das «Ich», das einen unerschrockenen Blick nach innen erfordert, wird häufig auch ersetzt durch das unpersönliche, anonyme «Es». «Es war langweilig» – durch eine solche scheinbar objektive Feststellung vermeidet der Sender, seine persönliche Betroffenheit auszudrücken und Ross und Reiter beim Namen zu nennen. Wer ist dieses anonyme «Es»? Vielleicht steht dahinter: «Ich mochte die langen Reiseberichte von Onkel Herbert bald nicht mehr hören, hatte aber auch nicht den Mut, ihn zu unterbrechen und meine Anliegen zur Geltung zu bringen.» Die bei dieser Version notwendig werdende Auseinandersetzung mit mir selbst und mit anderen wäre zwar nicht langweilig, dafür aber riskant und unbequem. Also ist es schon besser, es langweilig zu lassen …
«Du-Botschaften». Eine wohl am weitesten verbreitete Technik, eine gefühlsmäßige Ich-Aussage zu vermeiden, besteht in der «Du-Botschaft» (Gordon 1972, vgl. auch S. 89). Diese Technik besteht darin, eigenes inneres Erleben in eine Aussage über den anderen zu übersetzen. In der folgenden Tabelle sind einige Du-Botschaften als Beispiele den entsprechenden (nicht ausgedrückten) Ich-Botschaften gegenübergestellt.
Du-Botschaften
(vermiedene) Ich-Botschaften
«Musst du eigentlich immer dazwischenreden? Du solltest mal in einen Diskutier-Kursus gehen.»
«Ich bin sauer, wenn ich unterbrochen werde. Ich denke dann, das ist nicht interessant genug, was ich erzähle.»
«Dir kann man wirklich nichts anvertrauen.»
«Mir ist das ungeheuer peinlich, dass du das weitererzählt hast.»
«Mit der Hose machst du dich doch lächerlich, zieh bloß ’ne andere an.»
«Ich habe Angst, dass die Leute über deine Hose lachen, und dann würde ich mich schämen.»
Die Du-Botschaft ist ein durchaus taugliches Kampfmittel. Sie hat nicht nur den «Vorteil», dass die eigene Innenwelt unkenntlich bleibt, sondern auch, dass der andere in Bedrängnis gerät. – In Abb. 40 ist gezeigt, wie hinter ein und derselben Du-Botschaft ganz verschiedene Ich-Zustände stehen können. Durch den Mangel an Selbstoffenbarung bleibt die Nachricht unklar.
Abb. 40:
Die Du-Botschaft ist nicht nur «spitz», sondern lässt auch den seelischen Zustand des Senders im Unklaren.
Oftmals weiß der Sender selbst nicht, was der «Untergrund» seiner Eisbergspitze ist. Erst im Rahmen einer Therapie und einer intensiven Selbsterforschung kann es gelingen, den verborgenen Ich-Zustand ans Licht zu bringen.
Ein Beispiel aus einer Partnerberatung:
Während einer Urlaubsreise war Folgendes vorgefallen: Der Mann wollte etwas unternehmen, hingegen lag die Frau am Strand und las Illustrierte. Aufgebracht beschimpfte er sie mit den Worten: «Stinkfaul bist du!»
In dem folgenden Gesprächsausschnitt zwischen dem Therapeuten und dem Mann versucht der Therapeut die dahinterliegende «Ich-Botschaft» ans Licht zu bringen:
Therapeut: «Wie ist es für Sie, wenn Ihre Frau da im Sand liegt?»
Mann: «Schrecklich, sie ist so passiv und vergeudet die schöne Urlaubszeit. Man könnte so viel unternehmen.»
Therapeut: «Die Welt hat so viel zu bieten, und sie vergeudet die schöne Zeit – kennen Sie das von sich selbst?»
Mann: «O ja, früher ging es mir oft so, dass ich mit mir nichts anzufangen wusste und irgendwo herumgammelte.»
Therapeut: «Und wie war das für Sie?»
Mann: «Es war die Hölle, ich habe mich verachtet.»
Nun wird deutlich, dass der Mann aus der tiefsitzenden Angst vor der Zeit- und Lebensvergeudung einen betriebsamen Unternehmungsgeist entwickelt hat und sich durch das Verhalten seiner Frau an seine alte «Hölle» erinnert fühlt und dass seine Verachtung, die er ihr entgegenbringt, einen Versuch darstellt, die eigene Hölle zu löschen.
Hier war therapeutische Arbeit notwendig, um die Ich-Botschaft zutage zu fördern. Aus dieser Sicht heraus erweist sich die Ich-Botschaft als Ausdruck einer vertieften Selbstklärung und ist nicht einfach eine neue Art, die eigenen Reaktionen zu formulieren. Klare Kommunikation setzt Selbstklärung voraus.
2.3
Demonstrative Selbstverkleinerung
Ganz im Gegensatz zu den unter 2.1 beschriebenen Imponiertechniken finden wir dann und wann Menschen, die sich selbst als klein, schwächlich, hilflos und wertlos darstellen. «Mit mir ist nicht viel los!» – Mit dieser Selbstdarstellung treten sie an ihre mitmenschliche Umwelt heran. Nanu!? Wer
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