Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
wird denn sein Licht unter den Scheffel stellen? Liegt hier die mangelnde Fähigkeit vor, sich selbst günstig darzustellen? – Spätestens an dieser Stelle ist wieder daran zu erinnern, dass Nachrichten quadratisch sind und dass auch Selbstoffenbarungs-Botschaften appellative Aspekte enthalten. Einmal abgesehen davon, dass der Appell schlicht lauten kann «Widersprich mir!» («Fishing for compliments»), mag es sich um den Versuch handeln, den Empfänger zur Übernahme lästiger und schwieriger Aufgaben zu bewegen («Mit mir ist nicht viel los – du musst mir die Last des Lebens abnehmen!») – s. Abb. 41.
Abb. 41:
Der (heimliche) Appellaspekt einer selbsterniedrigenden Selbstdarstellung.
Dreikurs (1971) sieht die «Zurschaustellung der eigenen Unzulänglichkeit» bei Kindern als Ausdruck größter Entmutigung und mit dem Ziel verbunden (finale Betrachtungsweise, vgl. S. 66 und 258), von gewissen Aufgaben befreit zu werden:
«Hinter dem Zurschaustellen einer tatsächlichen oder eingebildeten Minderwertigkeit verbirgt es sich und bemüht seine Unfähigkeit als Schutz, so daß nichts von ihm verlangt oder erwartet wird.» (S. 42)
Für den Empfänger solcher Nachrichten wie in Abb. 41 ist es wichtig zu wissen, dass ein appellgemäßes Reagieren unter Umständen die Entmutigung fortsetzt. Gut gemeinte Hilfe akzeptiert die Beziehungsbotschaft «Du stark – ich schwach», ist für den Empfänger daher verführerisch, hält aber den anderen klein und abhängig. Über den Balanceakt von zu wenig und zu viel Hilfe sagt Ruth Cohn:
«Wer weniger gibt als nötig, ist ein Dieb; wer mehr gibt, ein Mörder.» (1975, S. 123) – vgl. auch S. 265ff.
3.
Auswirkungen der Selbstdarstellungstechniken
Die übermäßige Besorgtheit um die Selbstoffenbarung kostet seelische Energie, behindert den sachlichen Ertrag und schafft zwischenmenschliche Trennwände:
Gefahr für den sachlichen Ertrag. Natürlich: Wo die beteiligten Gesprächspartner sehr stark um ihre Geltung besorgt sind, wo die Angst vor der Missbilligung und der Wunsch, eine gute Figur zu machen, für eine steife und unschöpferische Atmosphäre sorgen, dort kann der Sachertrag nicht optimal sein. Vieles geht verloren, weil der Sender sich nicht traut, seinen Standpunkt offenzulegen oder weil die Selbstdarstellung die Oberhand gewinnt. Vieles geht auch verloren, weil der Empfänger nur mit halbem Ohr zuhört. Denn er ist vor allem damit beschäftigt, seinen eigenen «Auftritt» zu proben.
Barriere für zwischenmenschliche Solidarität (vgl. Richter 1974). Durch Voreinander-Geheimhalten von Schwächen, Ängsten, Problemen sowie Streben nach Überlegenheit lassen sich die Distanzen nicht überwinden, die Menschen voneinander trennen. Solidarität setzt voraus: das offene Eingestehen der ganzen Person mitsamt ihren Schwächen und sogenannten Minderwertigkeiten. So erfahre ich, dass auch die anderen leiden, sich unsicher fühlen, Probleme haben, manchmal nicht ein noch aus wissen. Ich sehe: Ich bin gar nicht so allein mit meinen Problemen. Die anderen sind gar nicht so fabelhaft fit, so souverän, für wie ich sie gehalten habe, und ich kann mir all die Kraftanstrengungen sparen, die notwendig waren, um meine Unterlegenheitsgefühle zu verdecken. In der Regel aber wird alles getan, um solche Erlebnisse zu vermeiden. In gemeinsamer Kraftanstrengung schaffen wir die Isoliertheit, an der wir leiden.
Gefahr für seelische Gesundheit. Die (teilweise eingebildete) Notwendigkeit, sich nach außen anders zu geben, als einem innerlich zumute ist, führt zu einer dauernden inneren Spannung. Es kostet viel psychische Kraft und bringt stets eine latente Angst vor Entlarvung mit sich. Dies ist seelisch «unhygienisch» und damit auch mit dem Risiko körperlicher Krankheiten verbunden (z.B. Herzinfarktgefährdung, vgl. Richter 1974).
4.
Wegweiser der Psychologie
Welche Wegweiser bietet die Kommunikationspsychologie für den Umgang mit der Selbstoffenbarungsseite? Ich habe oft erlebt, dass die Teilnehmer unserer Trainingskurse hier vom Psychologen zunächst enttäuscht waren: Hatten sie doch zu lernen erwartet, wie die Selbstdarstellung auf Hochglanz zu bringen sei, wie man persönlich «optimal wirken» und «sich verkaufen» könne. Stattdessen zeigt der Wegweiser in die Gegenrichtung: Sei weniger besorgt um die «gute Figur»! Diese Überbesorgtheit ist Energieverschwendung und ein Todfeind klarer, sachlicher und solidarischer Kommunikation! Um «Tricks»
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