Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
ganzer Mann!» Er hat den Ringkampf um die Oberhand aufgenommen. Die Uneinigkeit über die gemeinsame Beziehungsdefinition ist an dieser Stelle offensichtlich. Sie hat seine «Verweigerung der Klientenrolle» und sein Bestehen auf einer symmetrischen Mann-Frau-Beziehung verstanden und reagiert innerlich unwillig:
Sie: «Ich kann deine Freundin verstehen, würde ähnlich reagieren …» (Sie gibt sodann etwas skeptische Kommentare zu seiner Erzählung ab, ist unruhig, sieht auf die Uhr.) «Muss jetzt wohl gehen, zur Uni.»
Nun weist sie ihrerseits seine Beziehungsdefinition («Ich bin ein ganzer Kerl, und du ein Mädchen, das für mich in Frage kommt») zurück. Sie drückt Abstand aus, indem sie sich mit der Freundin solidarisiert und indem sie zum Aufbruch bläst. Es ist, als ob sie sagen würde: «Du willst meine Definition nicht akzeptieren, ich die deine nicht, dann erkläre ich nun die Beziehung für beendet.»
Er: «Das war ein schönes Gespräch.»
Das heißt auch: Unsere Beziehung ist schön. Mit diesem Manöver widerspricht er ihrer Beziehungsdefinition («Die Beziehung ist abbruchreif!»)
Sie: «Ja, das finde ich auch. Es passiert selten, dass man mit einer fremden Person so sprechen kann.»
Scheinbar eine Bestätigung seiner Definition. Bei näherem Hinsehen jedoch handelt es sich allenfalls um eine Teilbestätigung, denn der Hinweis auf die «fremde Person» drückt wiederum den gewünschten Abstand aus.
Die Begegnung endet damit, dass er sie überredet, sich später noch einmal zu treffen; halb widerwillig lässt sie sich auf diese Verabredung ein. Jedoch erscheint er nicht zum verabredeten Termin: Ein letztes Manöver seinerseits, um in einer wenig aussichtsreichen Lage die Oberhand zu behalten: «Ich entscheide, dass die Beziehung zu Ende ist, bevor du es tust.»
5.
Längerfristige Auswirkungen von Beziehungsbotschaften: das Selbstkonzept
Die Bedeutung der Beziehungsseite ist nicht auf die momentane Gefühlslage und den weiteren Gesprächsverlauf beschränkt. Vielmehr können Beziehungsbotschaften eine erhebliche Langzeitwirkung haben: Der Empfänger erhält hier ja Informationen, wie er (vom Sender) gesehen wird. Auf der Suche nach seiner Identität («Wer bin ich?») ist das Kind auf solche Hinweise angewiesen. Mit der Zeit verdichten sich die Zigtausende von Beziehungsbotschaften, die das Kind von seiner Umwelt erhält, zu der Schlussfolgerung: «So einer bin ich also!» (s. Abb. 68).
Abb. 68:
Das Selbstkonzept als Verdichtungsresultat von Beziehungsbotschaften.
Diese «Meinung von sich selbst» (Adler), dieses Selbstkonzept, wird heute als eine entscheidende Schlüsselvariable der Persönlichkeit und der seelischen Gesundheit angesehen. Vor allem Alfred Adler hat beschrieben, wie jemand, der nicht viel von sich hält (Minderwertigkeitsgefühl), sich entweder entmutigt zurückzieht oder aber, in ständiger Beweisnot um den eigenen Wert, übersteigert nach Geltung und Überlegenheit ringt und so den größten Teil seiner seelischen Energie auf den Kampfplätzen der Rivalität und der imponierhaften Demonstrationen vergeudet.
Die Bedeutung des Selbstkonzeptes liegt aber auch in Folgendem begründet: Hat es sich erst einmal verfestigt, dann schafft sich das Individuum eine Erfahrungswelt, in der sein einmal etabliertes Selbstkonzept immer wieder bestätigt wird. Wie wir durch unser Selbstkonzept bestimmte Erfahrungen «machen» und andere, vielleicht korrigierende, Erfahrungen ausschalten, soll im Abschnitt 5.3 näher beschrieben werden.
Wegen dieser weitreichenden Bedeutung des Selbstkonzeptes haben manche Psychologen (z.B. Tausch und Tausch 1979) das Unterrichtsgeschehen fast ausschließlich mit der «Beziehungs-Brille» (unter Vernachlässigung der Sachinhalte) betrachtet: Hier vermuten sie die Hauptweichenstellung in der Persönlichkeitsentwicklung.
5.1
Die Herausbildung des Selbstkonzeptes durch Du-Botschaften und Etikettierungen
Was sind das nun im Einzelnen für Beziehungsbotschaften, die das Selbstkonzept bestimmen? Zunächst sind es die expliziten und impliziten Beziehungsbotschaften, die ein Kind von den wichtigen Personen seiner Lebenswelt empfängt. Explizite Aussagen sind z.B. «Dummkopf!», «Aus dir wird nie etwas!», «Du bist unser liebes, artiges Kind», «Du bist technisch unbegabt», «Du kannst gut malen».
Derartige explizite Beziehungsaussagen werden in der zwischenmenschlichen Kommunikation ergänzt durch implizite Beziehungsbotschaften; durch die Art,
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