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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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wie das Individuum angesprochen und behandelt wird, erfährt es, wie der andere zu ihm steht, was er von ihm hält. Z.B. «Halte du dich zurück!», «Muss ich dir denn alles dreimal sagen?», «Nun reiß dich mal ein bisschen zusammen!» – oder aber: «Wie denkst du über diesen Vorschlag?», «Lass uns gemeinsam überlegen, wie wir die Sache hinkriegen» usw. – Auch nonverbal erhält ein Kind, bevor es Sprache verstehen kann, durch das Gesamtverhalten wichtiger Bezugspersonen etwa die Grundbotschaft «Du bist hier erwünscht» oder «Alles dreht sich nur um dich» oder «Du bist hier unerwünscht und lästig» – vermutlich sind es solche allererste, durch tausendfältige Signale übermittelte Du-Botschaften, die das Selbstkonzept des Kindes grundlegend prägen. Erziehung ist vor allem Kommunikation zwischen den Zeilen. Derartige Du-Botschaften spiegeln keineswegs nur objektiv vorfindbare Charakteristiken des Kindes wider. Im Gegenteil enthalten sie heimliche Wünsche, persönliche und kulturelle Vorurteile des Senders (z.B. Auffassungen darüber, wie Mädchen oder Jungen nun einmal sind).

    Die Institution als Sender von Du-Botschaften. Wir haben bisher die Herausbildung des Selbstkonzeptes als Resultat von definierenden Erfahrungen beschrieben, die das Kind von den wichtigen Bezugspersonen vermittelt bekommt. Die Du-Botschaften, die es dabei empfing, waren teils sehr individuell, teils eher kollektiv in dem Sinne, als das Kind diese Botschaften als Angehöriger einer bestimmten Gruppe erhält und sie daher mit allen anderen Angehörigen teilt (z.B. geschlechtsstereotype Botschaften: «Du bist doch ein Junge! – Jungen weinen nicht!»).
    In diesem Abschnitt wollen wir unser Augenmerk darauf richten, dass – unabhängig von individuellen Erziehern – die Institution Schule mit ihren Vorschriften und Plänen (implizite) Beziehungsbotschaften an «den» Schüler enthält. Tillmann (1976) sieht in diesen Botschaften den «heimlichen» und eigentlich wirksamen Lehrplan der Schule.
    Wenn wir einige der institutionellen Botschaften    [6] an «den» Schüler explizit machen, dann tönt es ihm – Tag für Tag – etwa so entgegen:
«Viel hast du hier nicht zu melden. Du bist einer von 35, als Einzelner bist du nicht wichtig; halte dich also zurück, vor allem mit Sonderwünschen. Du bist noch klein und dumm, der Lehrer weiß, was für dich gut ist zu lernen, daher pass auf, die Musik kommt von vorn. Verantwortung für die Gemeinschaft brauchst du nicht zu übernehmen – es ist alles geregelt. Du brauchst nur fleißig den Stoff zu lernen.»
    In dieser Form kriegt der Schüler die Botschaft wohl kaum zu hören, obwohl die Lehrer oft zum Sprachrohr der Institution werden (müssen). Aber der Schüler erhält diese Botschaft durch die täglichen Schulerfahrungen auf einem indirekten, aber deswegen nicht minder deutlichen Kanal.
    Mit anderen Worten: Die Institution geht von einem recht «infantilen» Schülerbild aus. Entsprechend macht sie den Schüler zu einem weitgehend zu verplanenden, passiven Lern-Empfänger und verwehrt ihm Verantwortlichkeit und vollwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

    Die Gesellschaft als Sender von Du-Botschaften. Ebenso meldet sich die Gesellschaft als Ganzes mit ihren Einrichtungen, Vorschriften, Gesetzen und faktischen Gegebenheiten zu Wort und richtet Selbstkonzept-prägende Du-Botschaften an bestimmte Untergruppen der Bevölkerung. Muller hat in Worte gefasst, welche Botschaften er die Gesellschaft an die Jugendlichen richten hört:
«Es ist wirklich ein Jammer, daß so viele Kinder geboren werden, denn wir können im Grunde nicht alle gebrauchen. Die Zeit der Kinderarbeit ist vorbei, worüber wir natürlich froh sind. Die Großfamilie gehört ebenfalls der Vergangenheit an, und in der heutigen Kleinfamilie mit all ihren Haushaltsgeräten seid Ihr Jugendlichen eher eine Last als eine Hilfe. Für ungelernte Hilfskräfte gibt es unangenehme Arbeit in Fülle, aber Ihr meint wahrscheinlich, dazu seid Ihr zu gut, und wir können Euch das nicht übelnehmen. Für die attraktiven Arbeitsstellen brauchen wir einige von Euch, aber wir können unmöglich alle gebrauchen – schließlich wollen wir selber unsere Arbeitsplätze behalten, und überdies leben wir heute ja sehr viel länger als früher. Einige von Euch werden Glück haben, viele aber nicht; wir wissen einfach nicht, was wir mit Euch anfangen sollen. Ihr versteht, wir versuchen Kriege zu vermeiden, dafür

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