Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
die Störung nicht im einzelnen Individuum zu suchen und zu behandeln, sondern in den Interaktionen derjenigen Gruppe, in der die Störung auftritt (vgl. Redlich und Ott 1980: «Veränderung der Interaktion in Schulklassen statt Stigmatisierung durch Einzelfallbehandlung»).
5.3
Das Selbstkonzept als «Macher» von Erfahrungen
Das Selbstkonzept stellt sich als Verdichtungsprodukt all der erwähnten Erfahrungen dar: «So einer bin ich also!» Wir wollen im Folgenden untersuchen, wie ein bereits etabliertes Selbstkonzept sich eine Umwelt schafft, in der das Individuum überwiegend genau diejenigen Erfahrungen «macht», die das Selbstkonzept bestätigen.
Vor allem zwei Mechanismen sind es, die dies ins Werk setzen: Vermeidungen und Verzerrungen . Manchen Erfahrungen kann ich aus dem Wege gehen, sodass meine Lebenswelt um solche Erfahrungen «bereinigt» ist. Manchen anderen Erfahrungen kann ich zwar nicht aus dem Weg gehen, aber ich kann sie so umdeuten und verzerrt wahrnehmen, dass sie mich in ihrer ursprünglichen Form nicht erreichen, sondern in einer Form, die mir «in den Kram» (= in mein Selbstkonzept) passt.
Beide Strategien (Vermeidungen und Verzerrungen) lassen sich auf äußere Erfahrungen wie auf innere Erfahrungen (Gefühle, Motive) anwenden. – Betrachten wir im Einzelnen, wie die Mechanismen funktionieren:
Vermeidungen
Die misserfolgsversprechenden Aspekte des Selbstkonzeptes führen dazu, dass der Mensch «einen großen Bogen» um solche Stellen macht, für die er sich schlecht gerüstet fühlt. Habe ich z.B. die Meinung von mir, ich sei «technisch unbegabt», dann werde ich tendenziell all jene Situationen meiden , in denen es auf technisches Verständnis und Geschicklichkeit ankommt. Mit der Zeit habe ich dann einen erheblichen Übungsrückstand , und nach einigen Jahren habe ich wirklich «zwei linke Hände», aber weniger auf Grund mangelnder Begabung, als vielmehr auf Grund mangelnder Übung und eines Erfahrungsrückstandes, für den mein anfängliches Selbstkonzept die Vermeidungs-Weichen gestellt hat. – Der Teufelskreis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung hat sich geschlossen, und das Selbstkonzept hat sich als heimlicher Drahtzieher der Persönlichkeitsentwicklung erwiesen (s. Abb. 69).
Abb. 69:
Der Teufelskreis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung des Selbstkonzeptes.
Vor allem entmutigte Menschen (mit ausgeprägter Tendenz zur Vermeidung von Misserfolgen) sorgen durch ständige Umgehungstaktiken dafür, sich solche Erfahrungen zu ersparen, durch die sie dazulernen und vorankommen würden. Sie führen ein reduziertes Leben auf ihren «Heimspielplätzen», wo ihnen keine Niederlage droht. Dadurch machen sie nach außen meist einen starken, souveränen Eindruck. Von wirklicher seelischer Stärke aber ist der, der sich vorübergehende Niederlagen in jenen «Auswärtsspielen» leisten kann, in denen allein ein Fortschritt in der Persönlichkeitsentwicklung winkt.
Mit geradezu verheerenden Auswirkungen ist zu rechnen, wenn ein sehr negatives Selbstkonzept generalisiert ist, z.B. «Mich mag sowieso keiner!» Dies wird ein (feindseliges oder zurückgezogenes) Verhalten in Gang setzen, das tatsächlich die Antipathie oder Gleichgültigkeit der Mitmenschen provoziert. Hier ist eine psychotherapeutische Unterbrechung des Teufelskreises angeraten.
Verzerrungen und Umdeutungen
Dies war der eine Hauptmechanismus, sich seine Umwelt selber zu schaffen: Bestimmten Erfahrungen überhaupt aus dem Wege zu gehen. Bei dem zweiten, nun folgenden Mechanismus ist vorausgesetzt, dass bestimmte Erfahrungen, die geeignet wären, das vorhandene Selbstkonzept in Frage zu stellen, zwar gemacht werden, aber durch eine verzerrende Wahrnehmung so umgedeutet werden, dass sie doch wieder zum Selbstkonzept passen.
Dies sei an zwei Unter-Mechanismen exemplarisch erläutert: Am Nachrichten-Empfang und an den Kausalattribuierungen . Wir hatten betont (vgl. S. 67), dass die ankommende (vierseitige) Nachricht ein Eigenprodukt des Empfängers sei, und zwar dadurch, dass er auf allen vier Seiten Botschaften hineinlegt, die u.a. auch seiner seelischen Verfassung entsprechen. So hört eine Person mit niedrigem Selbstwertgefühl die ankommende Nachricht mit einem überempfindlichen Beziehungs-Ohr, sie phantasiert in unschuldige Fragen oder Aussagen eine Kritik oder eine Herabsetzung ihrer Person hinein (vgl. S. 56f.). Weitere Beispiele für einen Selbstkonzept-abhängigen Nachrichtenempfang: Jemand,
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