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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Erfahrungen beschrieben, die als bedrohlich empfunden oder antizipiert werden, als im Widerspruch stehend zum existierenden Selbstbild des Individuums oder zum Bild seiner Beziehung zur Welt. Diese bedrohlichen Erfahrungen werden vorübergehend unschädlich gemacht, indem sie im Bewußtsein verzerrt oder ihm verweigert werden. Ich bin buchstäblich nicht in der Lage, die Erfahrungen, Gefühle, Reaktionen in mir präzise wahrzunehmen, die von meinem schon vorhandenen Selbstbild wesentlich abweichen. Ein großer Teil des Therapieprozesses ist die fortwährende Entdeckung seitens des Klienten, daß er Gefühle und Einstellungen erfährt, die er bislang nicht bewußt hat wahrnehmen können, die er nicht als existierenden Teil seines Selbst hatte ‹besitzen› können.» (S. 186f.)
    Das Endergebnis eines solchen Vorgangs formuliert Rogers an anderer Stelle so:
«Das Bewußtsein ist nicht länger der Wächter über einen gefährlichen und undurchschaubaren Haufen von Impulsen, die nur im Ausnahmefall das Tageslicht erblicken dürfen, sondern wird zum geruhsamen Mitbewohner einer Gesellschaft von Impulsen, Gefühlen und Gedanken, die sich, wie man feststellt, sehr wohl selbst regulieren können, wenn sie nicht ängstlich behütet werden.» (S. 125)
    6.
    Zum Umgang mit Beziehungsstörungen
    Obwohl Beziehungsstörungen an der Tagesordnung sind, wo immer Menschen zusammenleben und -arbeiten, ist die Fähigkeit, mit derartigen Störungen umzugehen und miteinander «klarzukommen», bei den meisten Menschen nicht sehr weit entwickelt. Unausgedrückter Groll und verborgene Verletztheit, vermiedene Auseinandersetzungen und scheinheilige Diplomatie, feindseliger Zank und kleinliche Nörgelei, harte Argumentationskämpfe auf der falschen Ebene beherrschen häufig die Szene, wenn es auf der Beziehungsebene schwierig wird.
    Ein typischer Kardinalfehler der zwischenmenschlichen Kommunikation wurde schon auf Seite 52f. besprochen: Beziehungsstörungen auf der Sachebene auszutragen . Die Mutter riet der Tochter, die Jacke anzuziehen, die Tochter widersetzte sich widerwillig, und es hob ein kleinlicher Streit um Temperaturen an.
    Der Kommunikationspsychologe ist darin geschult, auf erste Anzeichen von Beziehungsstörungen in Sachauseinandersetzungen zu achten. So war der «patzige Ton» der Tochter ein solches Anzeichen. Oder wenn in einer Konferenz gesagt wird: «Wenn Sie die Verwaltungsmitteilung vom 3.5. gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass …» Oder wenn ein Mitarbeiter von seinem Vorgesetzten gebeten wird: «Können Sie uns denn nicht wenigstens die Netto-Zahlen mal nennen?» (In dem «wenigstens» steckt die Botschaft: «Wenn man von Ihnen schon keine normalen Leistungen erwarten kann.») Oder: Ein Redner hat seinen Vortrag beendet und fordert zur Diskussion auf. Ein Zuhörer meldet sich: «Mir ist völlig schleierhaft, wie man bei diesem Thema den Gesichtspunkt X außer acht lassen kann …» Auf der Beziehungsseite der Nachricht wird dem Vortragenden mangelnde Kompetenz bescheinigt, und der Wunsch nach Vergeltung kommt prompt in der Antwort zutage: «Ich meine zu Beginn meiner Ausführungen sehr deutlich gemacht zu haben, dass …» (= und wenn Sie zugehört hätten …) Wenn Sachgespräche mit solchen «Beziehungs-Stecknadeln» gespickt sind (s. Abb. 71), herrscht Spannung, und die Sachlichkeit ist bedroht.

    Abb. 71:
    Die Sachauseinandersetzung wird durch Störsignale («Stecknadeln») aus der Beziehungsebene gestört.
    Meist sind es alte Hühnchen, die ungerupft durch den Raum fliegen und einen Stecknadel-Stil bedingen.
    Solche in Abb. 71 symbolisierten «Stecknadeln von unten» sind häufig Vorboten oder schon Symptome für eine fortschreitende und schließlich unentwirrbare Verflochtenheit von Sach- und Beziehungsseite (Stadium 2, s. Abb. 72). In diesem Stadium kann kaum noch jemand etwas zur Sache sagen, ohne dass es ihm als besserwisserisch, feindselig, als Rechtfertigungsversuch oder als Angriff ausgelegt wird. Manches Kollegium, manche Betriebsabteilung, manche Familie befinden sich im Dauerzustand der «Verflochtenheit» , wo jede sachliche Auseinandersetzung von der (inzwischen verschärften) Beziehungsproblematik durchdrungen ist.

    Abb. 72:
    Verflochtenheit von Sach- und Beziehungsebene.
    Spätestens jetzt hilft nur noch eines: Die Sachauseinandersetzung für eine Weile aussetzen und eine explizite Beziehungsklärung einleiten («Wie stehen wir zueinander? Was macht unsere Gespräche so unfruchtbar,

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